11.04.2023 Elektronik-Musiker im Interview

Schiller: „Ich freue mich wahnsinnig auf die Tour“

Von Felix Förster
Der Mann hinter „Schiller“: Christopher von Deylen.
Der Mann hinter „Schiller“: Christopher von Deylen. Fotoquelle: Annemone Taake

25 Jahre Schiller! Passend zum Jubiläum veröffentlicht Christopher von Deylen, der hinter dem Elektronik-Projekt steht, sein neues Doppelalbum „Illuminate“, mit dem der Musiker auch auf große Tour geht. prisma hat den Soundtüftler gesprochen.

Bei unserem letzten Interview im Winter 2021 waren Sie ganz Feuer und Flamme für Ihr damaliges, symphonisches Projekt „Epic“. Danach sind Sie noch auf Tour gegangen. Auch mit dem Album?

Christopher von Deylen: Nein, die Orchestertour ist noch für die Zukunft geplant. Vielmehr waren es sogar zwei normale Tourneen, eine Club-Tour fand im Frühjahr 2021 statt, die andere bestand dann noch aus Nachhol-Terminen, die durch die Pandemie mehrfach verlegt werden mussten. Das war meine Solotournee mit dem Titel „Piano und Elektronik”, die fand im Oktober des vergangenen Jahres statt. Das hat großen Spaß gemacht, und langsam habe ich das Gefühl, dass sich auch das Publikum wieder in die Konzerte traut.

Wie war es für Sie, nach der Pause diese geballte Zahl an Auftritten zu absolvieren?

Christopher von Deylen: Wir mussten uns alle natürlich wieder ein wenig hineinfinden. Musikalisch war das kein Problem, aber nach zwei Jahren auf einmal wieder auf der Bühne zu stehen, das hat uns schon länger beschäftigt als wir erwartet hätten. Man darf ja nicht vergessen, noch vor gut einem Jahr galten Konzerte als „Größter anzunehmende Gefahrenbereich“, und daran hatte man sich natürlich gewöhnt. Ich habe mich zum Team „Vorsicht“ gezählt und konnte Covid bis jetzt zum Glück entrinnen. Der Kulturbetrieb wird aber noch lange brauchen, um sich von diesen zwei Jahren zu erholen. Große Bereiche davon haben nach wie vor „Long Covid“.

Jetzt steht ein Jubiläum für Sie an: 25 Jahre Schiller werden mit einem neuen Doppelalbum begangen. Ihre Bilanz kann sich sehen lassen: zehn Top-10-Alben, darunter acht Nummer-1-Platzierungen und zahllose Gold- und Platinauszeichnungen sowie weltweite Tourneen. Was bedeutet Ihnen dieser Erfolg?

Christopher von Deylen: Man kann den Erfolg auf zwei sehr unterschiedliche Arten bewerten: Die eine Art ist das Quantifizieren, das Abzählen, wie viele Platten und wie viele Konzerttickets man verkauft hat. Das kann man dann vergleichen: Ok, ich bin auf Platz eins der Charts, ich habe mehr verkauft als andere Künstler. Das ist natürlich schön und etwas, worüber ich mich freue. Dennoch ist mir die zweite Ebene wichtiger: was die Menschen fühlen, wenn sie meine Musik hören, zu sehen, was es ihnen bedeutet, wenn sie in meine Konzerte kommen, zu sehen, welche Rolle meine Musik in ihrem Leben spielt. Das berührt mich viel mehr und treibt mich mit jedem neuen Album, jeder neuen Tour wieder zu Höchstleistungen an.

Und was bedeuten Ihnen die Verkaufszahlen?

Christopher von Delyen: Das reine Zahlenwerk ist auch wichtig, denn es ermöglicht mir, mich relativ unabhängig musikalisch auszudrücken und künstlerisch keine Kompromisse machen zu müssen. Das eigentlich Relevante ist aber, wie die Musik beim Publikum ankommt, und das lässt sich nicht immer in Chartpositionen ausdrücken.

Wenn man sich die Bilder und Videos von Ihren Konzerten anschaut, spürt man da diese Interaktion zwischen Ihnen und dem Publikum. Gibt es eine besondere Verbindung zu den Fans?

Christopher von Deylen: Das ist mit der Zeit so gewachsen. Ich war bei meiner ersten Tournee noch sehr nervös und so beschäftigt mit meinem Instrumentarium – meinen Synthesizern und Sequenzern, mit denen ich auf der Bühne arbeite –, dass es eine ganz andere Fokussierung forderte, als wenn ich jetzt nur gesungen oder Gitarre gespielt hätte. Was nicht heißen soll, dass man da keine Konzentration benötigt, aber man ist dem Publikum natürlich automatisch viel zugewandter. Wenn man da in seinem elektronischen Studio auf der Bühne steht, wirkt das natürlich so, als wäre da eine eingebaute Distanz. Die habe ich aber im Laufe der Jahre überwunden und bin jetzt so nah wie möglich beim Publikum.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Sie sich mit Ihren Alben eine ganz eigene Ikonografie geschaffen haben. Wie ist die Idee zu diesem ganz speziellen Design entstanden?

Christopher von Deylen: Eigentlich wollte ich nie auf die Bühne und wollte auch nie vor die Kamera oder in den Vordergrund. Als ich angefangen habe, Musik zu hören und zu inhalieren, waren meine ersten Alben überwiegend elektronische Musik wie Tangerine Dream oder Jean-Michel Jarre. Bei den Platten habe ich immer auf das Kleingedruckte geschaut, auf die Infos, mit welchen Instrumenten gespielt wurde, wer das Album produziert hat, wo es abgemischt wurde. Das hat mich immer viel mehr interessiert als alles andere. Das Rampenlicht, das „Nach vorne Treten“ war mir sogar eher suspekt bei anderen Künstlern.

Und daraus haben Sie den Wunsch nach einer Art Anonymität für sich selbst abgeleitet?

Christopher von Deylen: Ich habe nicht mit der Musik angefangen, um eines Tages groß rauszukommen oder auf der Straße angesprochen zu werden. Oder im Restaurant einen besseren Tisch zu bekommen, weil man mich erkennt. Das war für mich nie der Grund, warum ich mit Musik begonnen habe. Nach wie vor ist das auch nichts, wonach ich mich sehne. Und daher kommt wahrscheinlich auch das Design der Alben. Es ist jedes Mal eine neue und schöne Aufgabe, sie zu gestalten, ohne mich fragen zu müssen: Welches Foto von mir kommt auf das Cover? Welche zehn Fotos kommen ins Booklet. Dann sehen irgendwann alle Alben gleich aus, abgesehen von der Kulisse, in der man die Fotos gemacht hat. Ich finde es einfach schön, aus jedem Album einen kleinen, in sich abgeschlossenen Film zu machen. Verbindendes Element bleibt ja die Schiller-Sound-DNA, die sich wie ein roter Faden durch meine Musik zieht.

Nun stehen Sie mit dem neuen Doppelalbum „Iluminate“ in den Startlöchern. Was verbirgt sich hinter diesem „erhellenden“ Titel?

Christopher von Deylen: „Iluminate“ heißt ja so viel wie „erleuchtet sein“ oder „etwas beleuchten“. Es hat mit Helligkeit, mit Licht, mit Wärme zu tun. Das spiegelt wider, was ich auf der Tour vorhabe, und passenderweise heißt die im Mai startende Tour ja auch so. Die Idee dazu war übrigens zuerst da, noch bevor ich das Album so genannt habe. „Illuminate“ klingt einfach schön und hat einen hellen und wärmenden Subtext. Zudem hat es mir den Weg bereitet, Stücke zu machen, die lebensbejahend sind, auch wenn die romantischen, positiv-melancholischen Aspekte natürlich auch wieder durchblitzen. Auch wenn „Stücke machen“ nicht ganz passt, denn zumeist ist es ja so, dass einem die Musik „passiert“ und man sie nicht proaktiv in eine Richtung steuern kann. Die Songs und Melodien finden mich. Das Album ist der Versuch und die Hoffnung, zwei Stunden eine Auszeit vom Alltag anzubieten, die man wahlweise nonstop oder in einzelnen Segmenten anhören kann.

Einzelne Stücke sind ja auch sehr lang, wie etwa „Midsommar“, das über 20 Minuten geht.

Christopher von Deylen: Das Stück habe ich mit Thorsten Quaeschning von Tangerine Dream gemacht und es ist fast schon ein eigenes Album im Album. Der Titel orientiert sich auch am Symbol der Helligkeit, denn Midsommar ist die Zeit in Skandinavien, in der es gar nicht dunkel wird.

Insgesamt klingt das Album sehr analog, sehr organisch.

Christopher von Deylen: Dieser Eindruck freut mich sehr, weil es analog entstanden und analog gemischt wurde. Übrigens nicht aus einem nostalgischen Toningenieur-Dogma heraus. Mittlerweile kann man aufgrund der Digitalisierung ganze Alben am Laptop aufnehmen, abmischen und dann direkt zum Presswerk hochladen. Das geht alles problemlos, ich habe das auch selbst schon gemacht. Es ist wahnsinnig verlockend, auf diese bequeme, komfortable und flexible Art und Weise zu arbeiten. Doch wenn man analog arbeitet, gibt es diesen besonderen Reiz, dass man das, was man gerade aufnimmt, nie mehr reproduzieren kann. Das führt zu einem völlig anderen Entscheidungsprozess, denn, wenn ich einen Song auf einem analogen Mischpult mische, kommt irgendwann der Punkt, an dem mein Toningenieur und ich sagen, ok, das lassen wir jetzt so. Wir können das dann auch nie wieder ändern, selbst wenn man Fotos vom Mischpult macht und genau aufschreibst, wie die Hallgeräte eingestellt waren. Es würde beim zweiten Mal komplett anders klingen.

Diese Spontaneität ist dann die Herausforderung, das Interessante für Sie?

Christopher von Deylen: Genau. Irgendwann kommt der „Point Of No Return“, und man muss sich einfach sicher sein, was man eigentlich machen möchte. Für mich als geborener Zweifler mit dem Sternzeichen Waage, der alles abwägt, dem Entscheidungen schwerfallen, hat die analoge Technik schon fast therapeutischen Nutzen, weil man eben nicht beliebig oft Dinge verändern kann. Ein wunderschöner weiterer Aspekt ist die Arbeit mit der alten Technik. So haben wir mit Hallgeräten aus den 80ern gearbeitet, die liebevoll gepflegt und gewartet werden. Damit ergaben sich für uns Soundmöglichkeiten, die man erstaunlicherweise selbst mit den höchst getakteten Computer-CPUs nicht simulieren kann.

Von den Kollegen von Depeche Mode ist bekannt, dass sie ihr Album „Sounds Of The Universe“ nur mit analogen Synthesizern aufgenommen haben. Martin Gore sagte über diese Aufnahmen, dass das einerseits eine wunderschöne, aber auch bisweilen komplizierte Arbeit war. Können Sie das bestätigen?

Christopher von Deylen: Das ist schon eine Frickelei, das stimmt. Man hat bestimmte Vorstellungen im Kopf, die sich dann meistens aber ganz anders entwickeln, weil solch ein analoger Synthesizer ein Eigenleben hat und flexibler ist. Es entstehen viel mehr glückliche Unfälle, weil man plötzlich Bekanntschaft mit dem Eigensinn des Synthesizers macht (lacht). Der führt dann aber auch dazu, dass auf einmal Melodien entstehen, die man sich so niemals hätte ausdenken können.

Das neue Album ist in „Dolby Atmos“ aufgenommen. Wie unterscheidet sich dieser Sound von vorherigen Alben?

Christopher von Deylen: Es gibt nicht nur zwei Kanäle, sondern je nachdem, mit welcher Hardware man das dann abhört, bis zu zwölf Kanäle. Das gibt einen ganz anderen Raumklang, der im Gegensatz zum Surround-Sound dann auch von oben kommen kann. Wenn man sich dann auch an der Decke Lautsprecher anbringt, ist das noch einmal ein ganz anderes Klang-Erlebnis. Dolby Atmos funktioniert mittlerweile auch via Kopfhörer. Das ist dann besser als Stereo, aber der pure Dolby-Atmos-Sound kommt dann besonders zum Tragen, wenn man die entsprechenden Boxen hat.

Sie gehen mit dem neuen Album ab Mai auf Tour. Wie wird diese konzipiert sein? Auf was können sich die Fans freuen?

Christopher von Deylen: Auf diese Tour freue ich mich wahnsinnig. Wir werden das Schönste und Beliebteste aus 25 Jahren Schiller spielen, damit könnte man ja schon ein ganzes Konzert bestreiten. Gott sei Dank (lacht). Es wird aber auch die Höhepunkte von „Illuminate“ geben, auf dem ich ja erstmals mit allen Livemusikern, die auch auf Tour mit dabei sein werden, gearbeitet habe. Wir werden die tollen Kollaborationen, die auf dem Album sind, auch live auf die Bühne bringen. Dazu wird es ein immersives Lichtkonzept geben, mit Licht und Lasern. Das Licht soll in den Publikumsbereich leuchten, es soll das Publikum umarmen. Die Zuschauer sollen nicht nur in das Klangerlebnis eintauchen können, sondern auch das Lichterlebnis genießen können.

Das Video zu Ihrer aktuellen Single „Empire Of Light“ wurde in Kiew während des Krieges gedreht. War das ein bewusstes Zeichen?

Christopher von Deylen: Ja und nein. Der Nein-Teil zuerst: Ich habe mich jetzt nicht als Katastrophen-Tourist betätigt, um mich auf ein möglichst aktuelles Thema zu setzen, wozu ich aber keinen eigenen Bezug habe. Frei nach dem Motto: Was liegt in den Nachrichten gerade an? Ach, Kiew, nun gut, dann mache ich da jetzt mal was. Dem war nicht so. Nun zum Ja-Teil: Wir haben immer wieder Konzerte in Kiew gespielt, sodass ich ein persönliches Verhältnis zu vielen Ukrainern aufgebaut habe. Mir sind die Stadt und das Land also nicht fremd. Und als dann vor einem Jahr der Krieg anfing, ging mir das sehr nahe. Kiew ist, auch wenn das vielen nicht bewusst ist, näher als Mallorca, auch wenn es einem weit weg vorkommt. Ich habe mich wahnsinnig hilflos gefühlt, weil einem vor Augen geführt wird, wie nichtig die eigenen Probleme doch manchmal im Vergleich zu dem sind, was die Menschen dort erleben und erleiden müssen. Ich habe dann eine Wagenladung voller Güter nach Warschau gebracht, weil ich Freunde in Polen habe und das Land ganz viele Ukrainer aufgenommen hat. So konnte ich selbst proaktiv wenigstens ein wenig helfen. Die Idee für das Video hat sich dann durch einen Zufall ergeben. Für „Empire Of Light“ und „Quiet Love“ suchte ich nach einer Visualisierung, mir fiel aber partout nichts ein. Meine Freundin, die als künstlerische Leitung für ein Hamburger Theater gearbeitet hat, erzählte mir dann aber von einem ukrainischen Tanz-Ensemble, das vor einigen Jahren ein Gastspiel in Hamburg hatte. Sie hatte noch Kontakt zu Igor Kuleshyn dem Choreographen, und so haben wir noch am selben Abend per WhatsApp mit Kiew telefoniert und innerhalb von zwei Wochen die Filmaufnahmen mit dem fantastischen Tänzerpaar gedreht. Es hat mir große Freude bereitet, dass diese Menschen zumindest für einen Tag das Geschehen um sich herum ein wenig vergessen konnten. Wenn man im Making-Of diese glücklichen Gesichter sieht, freut einen das umso mehr. Sie konnten ihrer Kunst, ihrer Leidenschaft nachgehen, und uns damit beim Zuschauen schöne, emotionale Momente schenken.

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