30.05.2022 Schauspielerin

Kassandra Wedel: "Die Zuschauer müssen verstehen, dass wir Gehörlose nicht alle gleich sind"

Von Sarah Schneidereit
Schauspielerin Kassandra Wedel.
Schauspielerin Kassandra Wedel. Fotoquelle: imago images/Future Image

Die gehörlose Schauspielerin Kassandra Wedel ist ab 9. Juni in der ARD-Serie "In aller Freundschaft - Die jungen Ärzte" in einer wiederkehrenden Rolle zu sehen. Ein Gespräch über Gehörlosigkeit als Thema in Film und Fernsehen und Vorurteile über Lippenlesen.

Stört es Sie, wenn Ihre Gehörlosigkeit thematisiert wird?

Manchmal ja. Ich möchte als Künstlerin und Mensch nicht auf meine Taubheit reduziert werden, dass man nicht hören kann und anders kommuniziert als Hörende.

Sie spielen jetzt eine dauerhafte Rolle in "Aller Freundschaft – Die jungen Ärzte". Was war das für ein Gefühl, die Zusage zu bekommen?

Ich habe mich natürlich riesig gefreut, es war ein überfälliger Schritt, und ich hatte mich ehrlich gesagt gewundert, dass es nach dem "Tatort" ausblieb. Aber auf der anderen Seite verspüre ich auch einen gewissen Druck durch die Gehörlosen-Community. Ich trage mit meiner Rolle viel Verantwortung, kann aber gleichzeitig nicht stellvertretend für alle Gehörlosen dastehen.

Wie gehen Sie mit dem Druck um?

Die Zuschauer müssen einfach lernen und verstehen, dass wir Gehörlose nicht alle gleich sind und Taubheit verschieden aussehen kann. Ich musste auch erkennen, dass ich mit einer Rolle nicht alle repräsentieren kann und es einfach mehr diverse Taube Charaktere im Film geben muss!

Wie hat denn die Gehörlosen-Community auf Ihre feste Rolle bei "In aller Freundschaft" reagiert?

Viele sind stolz und freuen sich! Auf der anderen Seite gibt es aber auch Bedenken von Gehörlosen, die nur die Gebärdensprache nutzen, ob die Rolle "ein gutes Vorbild" für die Community ist? Man muss zum Beispiel mit dem Vorurteil aufräumen, dass alle Gehörlosen Lippen lesen können und quasi alles verstehen. Das ist nicht der Fall. Ablesen kann man nur 30 Prozent. Der Rest ist für uns dann wie ein Kreuzworträtsel. Mimik, Situation und Vorausdenken spielen eine wesentliche Rolle.

Wurde das Drehbuch speziell an Sie angepasst?

Es gibt ja in der ersten Folge eine Szene, in der ein hörender Kollege von meiner Rolle erwartet, dass Dr. Lipp Lippenlesen kann. Die Autoren haben das in Rücksprache mit mir aufgenommen, damit wir zeigen, wie es zu Missverständnissen kommen kann.

Wie läuft die Kommunikation am Set ab?

Ich habe immer eine Dolmetscherin dabei und bekomme so alles mit. Einige Kollegen sind neugierig und offen für Gebärdensprache. Einer hatte Set viele Gebärden gelernt, dass die Regie ermahnen musste, da seine Figur noch nicht so gut mit der Gebärdensprache vertraut ist (lacht). Ich glaube Schauspieler sind generell offener für Neues und lernen gerne dazu.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Figur Dr. Alica Lipp?

Ich finde es toll, dass sie eine Führungsposition hat. Jemand hatte irgendwo auf Social Media geschrieben, dass es doch besser wäre, wenn sie nur Assistenzärztin statt Neurochirurgin wäre. Ich sehe das anders. Als gehörlose Assistenzärztin würde ich immer nur den anderen hinterherrennen in der Kommunikation. So hat Dr. Lipp das Sagen und alle müssen auf sie hören! So entstehen spannende Situationen.

Welche Rolle würden Sie gerne einmal spielen?

Ich habe keine konkrete Wunschvorstellung im Kopf. Aber ich würde gerne in einem richtig guten Spielfilm eine Hauptrolle spielen, die Tiefe hat und trotz Problemen ihren Weg geht. Spannend wäre eine Rolle wie der Joker. Aber eine, die nicht per se böse ist, aber wütend und der der Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Gerne mit Humor.

Dieses Jahr hat bei den Oscars mit "Coda" ein Film über und mit Gehörlosen gewonnen. Ist das als Fortschritt zu bewerten?

Für Hörende ist das vielleicht etwas Neues gewesen, worauf sie gestoßen sind. Gehörlose bewerten das aber noch einmal anders. Bereits 1987 ging ein Oscar an die taube Schauspielerin Marlee Matlin für "Gottes vergessene Kinder", die auch aktuell in "Coda" die Mutter spielt. Bis heute hat sich dadurch aber nicht wirklich etwas verändert. Sie hatte meiner Meinung nach hinterher nicht die Aufmerksamkeit und die guten Rollen bekommen, wie ein hörender Oscar-Gewinner sie bekommen würde. "Coda" ist ein Mix aus "Jenseits der Stille" und "Verstehen Sie die Béliers?" in amerikanischer Version. Taubheit würde anders thematisiert werden, wenn auch hinter der Kamera Gehörlose beteiligt wären. So ist der Fokus zu sehr auf dem Defizit, dass taube Menschen keine Musik hören können, in "Jenseits der Stille" kann sie nicht einmal Radfahren. Ich bin sogar Einrad und Kunstrad gefahren und kann tanzen. Ich möchte den Film nicht schlecht reden, aber ich denke, Kritik ist berechtigt. Troy Kotsur hat gut gespielt und es gab auch Momente, wo ich Tränen in den Augen hatte. Dennoch wünsche ich mir einfach mehr Filme mit Tauben und neuen Geschichten. Wir sind nicht stehen geblieben!

Welche Projekte planen Sie denn noch?

Ich möchte gerne mehr eigene Theaterstücke umsetzen. Das Theater bietet mir einfach noch mehr Spielraum als der Film. Auf der Bühne bin ich freier, kann mehr künstlerisch mit visueller Sprache arbeiten und kreativ lässt sich vieles fantasievoll umsetzten und erzählen.

  • "In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte"
  • Episode "Durchatmen"
  • 9. Juni, 18.50 Uhr, Das Erste

Das könnte Sie auch interessieren