15.11.2021 Musiker im Interview

Schiller: "Die Musik soll im Kopf des Zuhörers einen Film erzeugen"

Von Felix Förster
Schiller alias Christopher van Deylen.
Schiller alias Christopher van Deylen. Fotoquelle: Thomas Ecke

Christopher von Deylen ist der kreative Kopf, der hinter dem elektronischen Musikprojekt "Schiller" steckt, das seit nunmehr gut zwei Jahrzehnten Hit-Album nach Hit-Album produziert und sich im Laufe der Jahre eine breite Fanbasis aufgebaut hat. Nach "Summer in Berlin" folgt nun mit "Epic" bereits das zweite Album im Jahr 2021. In "Epic" hat von Deylen gemeinsam mit einem klassischen Orchester von ihm komponierte, fiktive Filmmelodien aufgenommen. Gelungen ist ihm dabei ein Album, dem es gelingt, den Zuhörer in andere Welten zu entführen, in die Welten der großen Leinwand. prisma hat sich mit dem Musiker unterhalten.

Sie haben bereits im Frühjahr mit "Summer in Berlin" ein Album herausgebracht, nun folgt mit "Epic" schon ein Nachfolger. Sind Sie ein Workaholic?

Christopher von Deylen: Mir macht Musik sehr viel Spaß und deshalb empfinde ich das eigentlich gar nicht als Arbeit. Das Spannende am Komponieren ist, dass es kein festgelegtes Verhältnis zwischen Zeit-Einsatz und Ergebnis gibt. Man kann sich ein halbes Jahr im Studio einschließen und sich mit nichts anderem als mit dem Kreieren von Musik beschäftigen, und es kommt nur sehr wenig dabei heraus. Es gibt aber auch Phasen im Leben, da weiß man gar nicht wohin mit seinen Ideen. Es gibt da keine Formel. Natürlich würde man gerne wissen, woher die Inspiration kommt, damit man sie dann vielleicht ein bisschen effizienter abrufen kann. Das kann man aber nicht, und das ist auch das Schöne daran. Auf dem Weg dahin lernt man natürlich auch ganz viel, auch bei den Dingen, die nicht gelingen. Da lernt man ja mindestens genauso viel wie bei den Erlebnissen, die durch Zufall und Glück gelingen. Denn eigentlich ist es nicht viel anders, man ist auf er Jagd nach dem kleinen Glück in Form einer Melodie und eines Rhythmus, und versucht, daraus ein Werk zu gestalten, aber am Ende findet das Werk einen selbst. Man kann zwar versuchen, so offen wie möglich und immer auf Sendung und Empfang gleichzeitig zu sein, aber man kann es eben nicht auf Knopfdruck abrufen.

Auf Ihrem neuen Album "Epic" beschäftigen Sie sich mit dem Thema "Filmmusik", allerdings sind das keine Interpretationen schon bekannter Stücke, Sie verbinden darin vielmehr Ihre atmosphärischen elektronischen Klangwolken mit eigens komponierten Orchesterarrangements zu einem großen Kopfkino-Soundtrack. Heißt das, Sie haben Scores zu Filmen geschrieben, die es nur in Ihrem Kopf gibt?

Christopher von Deylen: Genauso kann man es sagen. Wenn man es weiterdenkt, und das wäre das schönste Geschenk, das mir das Album machen könnte, soll die Musik im Kopf des Zuhörers auch einen Film erzeugen. Der muss dann gar nicht meinem gleichen, denn es gibt keine Festlegung auf bestimmte Bilder, auf die ich hinarbeite. Solange beim Hörer die Fantasie angeregt wird, ist die Aufgabe von Musik doch erfüllt. Aktuell kann man ja das Gefühl haben, dass alles mit einer sogenannten "Message" aufgeladen wird und dies schon fast erwartet wird. Permanent wird an die Verantwortung des Künstlers und des Menschen allgemein appelliert, auf eine Art und Weise, die manchmal nur noch wenig Platz für Fantasie lässt. Dabei ist Fantasie ja so wichtig, um dem Alltag mal eine Stunde zu entfliehen und auch einmal auf andere Gedanken zu kommen. Diese Lockerheit ist wichtig, in der man vielleicht gar nichts denken möchte. Gerade dadurch entstehen oftmals viel eher neue Gedanken, als wenn man ständig zur Achtsamkeit aufgerufen wird.

Es entstehen beim Hören des Albums Bilder im Kopf, das kann ich bestätigen. Teilweise erinnern die Stücke an bekannte Filmmelodien von Hans Zimmer, Vangelis oder James Newton Howard. Widersprechen Sie, wenn ich da falsch liege. Gibt es Inspirationsquellen für das Album, haben Sie andere Künstler zitiert?

Christopher von Deylen: Das, was man kreiert, ist natürlich die Summe von dem, was man als musikalischen Input aufsaugt. Das passiert automatisch. Ich bin in den 1980er-Jahren groß geworden und man hört bei "Epic" partiell natürlich eine gewisse elektronische 80er-Komponente heraus. Das ist der organische Schiller-Sound und keine Pose, die ich vorsätzlich aufgesetzt habe. Es ist einfach die Musik, die ich selbst gerne hören möchte und das mogelt sich natürlich immer ins eigene Schaffen. Die gerade von Ihnen genannten Filmkomponisten sind natürlich nicht umsonst "Household Names". Das, was immer schon bei der Schiller-DNA durchgeblitzt ist, habe ich auf "Epic" versucht, sehr konsequent in ein Gesamtwerk zu gießen.

Wenn man Interviews mit Ihnen liest, fällt immer wieder der Begriff "Soundtrack", den Sie gerne verwenden. Was fasziniert Sie an dem Wort beziehungsweise was verbirgt sich für Sie dahinter?

Christopher von Deylen: Musik kann unterschiedliche Aspekte haben: einen narrativen, der sich beispielsweise in dem ausdrückt, was ein Interpret in seinem Text singt oder wie er diesen interpretiert. Das sind oftmals relativ klare Geschichten. Es gibt auch Beispiele, die sich eher auf der mysteriösen Ebene befinden. Nehmen Sie die Texte von Bob Dylan, darüber sind ja ganze Bibliotheken geschrieben worden. Dann gibt es auf der anderen Seite instrumentale Musik, die sich ohne den Umweg eines Textes in das Gemüt des Zuhörers schleicht. Ich bin mit dieser Musik groß geworden, mit Tangerine Dream, mit Jean Michel Jarre. Und das waren ja häufig auch Soundtracks, denn ihre Musik hat sich sehr gut dazu geeignet, die Wirkung schon bestehende Bilder zu verstärken oder neue Bilder zu erzeugen.

Sie haben bereits mit Orchestern zusammen gearbeitet, auf der anderen Seite aber stets betont, dass Sie sich weniger zur analogen Musik hingezogen fühlen. Sehen Sie trotzdem Parallelen zwischen elektronischer und klassischer Musik?

Christopher von Deylen: Man müsste hier eigentlich zwischen klassischer Musik und dem Orchester als Klangkörper unterscheiden. Das fällt natürlich meistens zusammen, weil klassische Musik ja gängigerweise mit einem Orchester assoziiert wird. Die klassische Musik gibt sich nach wie vor alle Mühe, für sich zu bleiben. Wenn man jetzt versucht, sich durchaus wohlwollend und respektvoll der Klassik zu nähern, wird sie immer noch von den entsprechenden Gatekeepern, Pförtnern, sehr energisch gegen ungebetene Gäste verteidigt (lacht). Wenn es einem aber gelingt, den Klangkörper und die Klangfarben des Orchesters von diesem Dünkel loszulösen, dann gibt es eine große Ähnlichkeit zur elektronischen Musik. Diese reinen Klänge, diese Sounds beider Genres sind sich näher, als es dem ein oder anderen Klassik-Beschützer lieb ist. So kann man das Frequenzbild bei einem Orchester vom Kontrabass bis zur Piccoloflöte so besetzen, dass das gesamte Klangspektrum abgebildet wird. Und das kann die elektronische Musik auch. Natürlich fällt dann die Auswahl umso schwerer, denn wenn man alle Möglichkeiten hat, dann geht man ganz schnell in die "Viel-hilft-viel"-Falle. Dabei sind in der Musik gerade die Pausen so wichtig und das Weglassen von Dingen. Und das habe ich versucht, in der Verzahnung aus Orchester und Elektronik auf dem Album herauszubringen.

Also hatten Sie es in dem von Ihnen gewählten Orchester nicht mit reinen Puristen und Traditionalisten zu tun? Die Musiker waren offen für Ihre elektronische Musik?

Christoper von Deylen: Man war dort sehr offen. Es gibt sehr viele Instrumentalisten, die in einem Orchester sitzen, das vorwiegend die Werke der Klassiker von Bach über Mozart bis Beethoven spielt, die aber auch sehr neugierig sind und sich darüber freuen, wenn sie einmal etwas anderes spielen dürfen. Denn man darf ja nicht vergessen, dass das, was im gängigen Konzert-Abonnement angeboten wird, überwiegend immer dasselbe ist. Augenzwinkernd gesagt, ist ein Orchester ja ein wenig wie eine Cover-Band. Es spielt immer und immer dasselbe, hier und da mal mit neuen Nuancen in der Interpretation, aber das Notenmaterial wiederholt sich. Deswegen war es so toll zu erleben, wie dieses Orchester mit totaler Leidenschaft und absoluter Hingabe die Partituren gespielt hat.

Haben Sie die Partituren geschrieben oder hatten Sie da Hilfe?

Christopher von Deylen: Ich habe die musikalischen Arrangements kreiert und der Orchestrator Ben Palmer aus Großbritannien hat mir dabei geholfen, diese Arrangements auf Papier und in Notenform zu bringen, so dass sie vom Orchester gelesen und gespielt werden konnten.

Wie sind Sie mit dieser Talentflut eines 40-köpfigen Orchesters umgegangen, mit der Sie es da auf einmal zu tun hatten?

Christopher von Deylen: Das ist schon eine Lektion in Demut. Ich halte mich ja nicht für besonders virtuos. Ich liefere mich ja immer wieder dem Glück aus. Ganz viel, was mir passiert, ist Glück und Zufall. Man hat manchmal eine vage Idee und es kommt dann meist doch ganz anders. Das ist natürlich bei jemandem, der sich auf das Beherrschen eines Instruments konzentriert, ganz anders. Eine Cellistin kann ja nicht sagen: Mal gucken, ob es mir heute gelingt oder ob ich heute Glück habe (lacht). Wenn man in einem Ensemble spielt, muss man sich ja auf den anderen verlassen können. Die Musiker sind aufeinander angewiesen und dadurch ergibt sich eine unglaublich intensive Energie. Man hat zwar Terrabyte große Soundbibliotheken mit Orchesterklängen im Computer, die auch sehr beeindruckend klingen. An das Live-Gefühl kommt das aber nicht heran.

Diese Soundfiles sind aber mittlerweile so gut, dass es viele Hörer gar nicht merken würden…

Christopher von Deylen: Ich glaube, der Hörer spürt es doch. Vielleicht kann er es nicht konkret in Worte fassen, was da anders ist, aber die Energie von Menschen kann man nicht imitieren. Es geht ja schon damit los, dass jeder Mensch atmet und das spürt man bei einem großen Orchester an bestimmten Stellen. Das sind die Geheimnisse der Musik und das ist traumhaft.

Welche Filmkomponisten verehren Sie denn?

Christopher von Deylen: Der allergrößte ist Ennio Morricone. Wenn man sich über die "Gassenhauer" hinaus mit seinem Werk beschäftigt, fällt diese Intensität und Bandbreite auf. Und die gibt es und wird es wahrscheinlich auch kein zweites Mal mehr geben. Es gibt natürlich andere Filmkomponisten, die haben ihre eigenen Sounds. John Williams klingt nach John Williams und Hans Zimmer klingt meistens auch nach Hans Zimmer. Ich habe vor dem Werk Zimmers den größten Respekt. Er wird ja manchmal ein wenig belächelt und man spricht vom typischen Hans-Zimmer-Soundtrack. Es gibt aber keinen zeitgenössischen Filmmusikkomponisten, der so viele Hits komponiert hat, denn Zimmer macht ja eigentlich Popmusik, die dann eben von einem Orchester gespielt wird. Der Soundtrack zu "Interstellar" ist eigentlich ein Popalbum. Auch Olafur Arnalds aus Island kann ich nennen, auch wenn das schon ein etwas speziellerer Sound ist. Es gibt sehr viele Filmmusiker, vor denen man zu Recht den allergrößten Respekt hat.

Können Sie sich denn selbst vorstellen, einmal für richtige Filmproduktionen zu komponieren?

Christopher von Deylen: Das kann ich mir sehr gut vorstellen, auch wenn ich weiß, dass das für mich eine schöne, aber große Herausforderung sein würde. Denn es ist ja ein Unterschied, ob man für sich oder für Filme, die es gar nicht gibt, komponiert, oder für einen real existierenden Film. Denn mindestens 50 Prozent dieser Arbeit besteht aus Handwerk, dahingehend, dass man die Musik auf den Film anpassen muss. Wenn eine Szene dann doch noch einmal umgeschnitten wird, müssen Sie die Musik auch die Musik umkomponieren. Es fühlt sich leichter an als es ist und gerade deswegen habe ich vor jedem Filmkomponisten die höchste Achtung. Ich würde das sehr gerne einmal ausprobieren und vielleicht ergibt sich das ja eines Tages.

Gibt es denn Pläne, die epische Musik Ihres neuen Albums live zu präsentieren?

Christopher von Deylen: Ja, die gibt es. Wir loten gerade aus, wie man das episch umsetzen kann. Natürlich braucht das einen besonderen Rahmen. Ich könnte mir vorstellen, das unter einem Sternenhimmel im Sommer im nächsten Jahr zu gestalten. Darüber würde ich mich sehr freuen. 

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