Malerei

Die Legende vom heiligen Vincent

Von Detlef Hartlap
Bunt und gesund: Die "Fischerboote am Strand" malte van Gogh sicher nicht in depressivem Zustand.
Bunt und gesund: Die "Fischerboote am Strand" malte van Gogh sicher nicht in depressivem Zustand. Fotoquelle: INTERFOTO

2015 ist Van-Gogh-Jahr. Lässt sich dem großen Verrückten der Malerei noch etwas Neues abgewinnen? Und ob!

Überhaupt keine Frage, Vincent van Gogh war ein wunderbarer Mensch, zu gut für diese Welt und von seiner Zeit, dem späten 19. Jahrhundert, ebenso verkannt wie Jesus in Jerusalem. Überhaupt keine Frage aber auch, Vincent van Gogh war ein Quälgeist, eine rechte Nervensäge, wenn er anderen Leuten seinen Glauben aufschwätzen wollte oder sie um Geld anschnorrte, oft auch nur um einen Schnaps.

2015 ist Van-Gogh-Jahr. Vor 125 Jahren wurde er am Rande eines Weizenfeldes bei Auvers-sur-Oise in Frankreich erschossen. Ja, Sie haben richtig gelesen, er wurde erschossen, denn an einen Suizid zu glauben wäre neueren Forschungen zufolge naiv.

Klar, dass van Gogh in diesem Jahr ausgestellt wird, als gäb's sonst keinen Maler, an drei Orten in Holland (Amsterdam, Den Bosch, Otterlo) sowie im belgischen Mons, der amtierenden Kulturhauptstadt.

Mit den Widersprüchen in der Person Vincents gehen solche Ausstellungen inzwischen gelassen um. Der Heilige und der Parasit, der arme Hund und das Ekelpaket – lässt sich das nicht küchenpsychologisch sinnfällig auf das Werk übertragen?

Die flirrenden Sonnen, die luftig unbeschwerten Fischerbötchen, die gleißend hellen Nächte – der gesunde Vincent!

Die trostlosen Arme-Leute-Katen, wie er sie in den feuchtnassen Provinzen Brabant und Drenthe vorfindet – der arme Vincent, der Prediger und Traumtänzer, der am Zustand der Welt verzweifelt!

Nur gut, dass er fort ist!

1885 malt er die Holland-Elegie "Die Kartoffelesser". Weniger durch die am Tisch versammelten traurigen Gestalten als vielmehr mithilfe schmutzig brauner Farbe erzählt sie, dass hier Schmalhans Küchenmeister ist und ewig bleiben wird. Zu diesem Zeitpunkt hat der völlig unbekannte van Gogh noch fünf Jahre bis zu seinem Tod, fünf Jahre, die ausreichen, eine überlebensgroße Maler-Legende entstehen zu lassen.

Den besten Van-Gogh-Roman bisher hat der Flame Louis Paul Boon geschrieben. "Abel Gholaerts" nennt er seinen Van Gogh.

"Abel", liest man da, "schlägt eine Decke zurück und sieht eine grässliche Beinwunde. Er wäscht sie aus und verbindet sie. Dann setzt er warmes Wasser auf, um den Mann zu rasieren. 'Voilà', sagt er, als er damit fertig ist. Und die hagere Frau, die alles verwundert verfolgt hat, fragt ganz verdutzt und aus lauter Gewohnheit: 'Wie viel macht das?' Er lacht. Und sagt, dass er morgen wiederkommt."

Romane, gute Romane, erhellen das Dunkel der Wirklichkeit. Dieser folgt Vincent auf seinen – Jesus nachempfundenen – Zügen durch belgische Bergbaugebiete, wo er sich den bei Schlagwettern und anderen Unglücken Verletzten als Samariter geradezu aufdrängt. Obwohl er selbst kaum was zu beißen hat: "Er geht und sucht einen Laden, um ein Stück Brot zu kaufen, zählt sein Geld nach und fragt sich, wie lange er so leben kann, wenn er nur Brot isst."

Vincent, der Stalker

Natürlich hat Vincent da auch kompensiert, was er zuvor verbockt hatte. In Liebesdingen war er ein Tölpel. Als seine Cousine Kee Voss seine Avancen zurückweist, wird er zudringlich. Vincent, der Stalker, würde man heute sagen. Pikiert wendet sich seine fromme Familie von ihm ab.

Allen ist gedient, dass er fortan predigend und zeichnend durch die Lande zieht, nur gut, dass er fort ist! Zumal er auch noch was mit einer Prostituierten anfängt, Klasina, genannt Sien. Der vier Jahre jüngere Bruder Theo muss seiner Verlobten Johanna Bonger beichten: "Seit Jahren sagt, wer seiner ansichtig wird: Er ist ein Verrückter!"

Theo und Vincent, die Geschichte einer Bruderliebe. Formal beruht sie auf einem Deal: Geld gegen Bilder. Theo blecht bare Münze, Vincent liefert Bilder. Das Geld ist echt, die Bilder taugen insofern nichts, als selbst Theo, der begabte Kunsthändler, es nicht schafft, sie an den Mann zu bringen. Antwerpen, Paris, Arles – Theo zahlt und der ewig fordernde Vincent vermalt, verhurt, versäuft das Geld. Am 23. Dezember 1888 ratscht er sich das linke Ohr ab, falls nicht sein Saufkumpan Gauguin der Täter war.

Was am 28. Juli 1890 geschieht, ist als Folge einer schlechten Biographie (von Irving Stone) und eines nicht so üblen Films (mit Kirk Douglas als Vincent) Allgemeingut geworden: Van Gogh malt im Weizenfeld. Ein Gewitter zieht auf. Wahnsinnsfarben. Er ist verzweifelt, die Arbeit stockt. Krähen fliegen auf, Todesboten. Ein Schuss. The End.

Klarer Fall von Künstler-Suizid?

Klarer Fall von Künstler-Suizid? Tatsache ist: Vincent malte nicht, wenn er depressiv war. Hier aber malte er. Tatsache ist: Er hatte bei Bruder Theo gerade wieder in großem Stil Malutensilien geordert. Tatsache ist: Ein 16-jähriger, berüchtigt schlecht schießender Waffennarr war bei ihm. Vincent beschuldigt ihn nicht. Aber er hatte Gauguin auch nicht beschuldigt.

Verwundet schleppte er sich ins Dorf und starb, womit wohl weder er noch sein Arzt gerechnet hatten, 29 Stunden später an der eher harmlosen Schussverletzung.

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