Krimi-Check

Deshalb war der "Zombie"-Tatort so gut

von Jens Szameit

Bissige Kinder und aggressive Dörfler und mit blutunterlaufenen Augen: Beim "Tatort" mit den Ermittlern Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz) wähnte man sich in einer niedersächsischen Variante von "The Walking Dead". Grundgütiger! Jetzt also auch noch die Zombiekalypse am Krimi-Sonntag? Und das nur vier Wochen nach dem kontrovers aufgenommenen Geisterhaus-"Tatort" aus Frankfurt? Wir verraten, ob sich das Einschalten trotzdem gelohnt hat ...

Was war los?

Aus heiterem Himmel kam das seltsame Verhalten der Dörfler nicht. Sondern vielmehr aus dem "Bösen Boden", wie der Episodentitel dieser furiosen "The Walking Dead"-Variation verrät. Ein Fracking-Konzern bohrte wahnsinnstiefe Löcher in die Erde. Bei dieser umstrittenen Art der Energiegewinnung hatte es ein Leck giftiger Stoffe gegeben. Vor allem aber kam ein Fahrer des Unternehmens zu Tode. Einer, der die Gift-Lkws provokant durchs Dorf gesteuert hatte statt außen herum. Hat ihn eine militante Vereinigung regionaler Landwirte auf dem Gewissen? Nein, schlimmer! Es war ein fürchterlicher Mob ihrer enthemmten Kinder! Eine wahrhaft gruselige Täter-Pointe.

Wie realistisch ging es zu?

Falke und die neue Partnerin Grosz ermittelten mit wachsendem Unbehagen in einer bedrohlichen Gemengelage. Hier der Öko-Mob, dort ein wahnsinniger Eremit, da die Gierigen, die sich von den Frackingleuten die Bedenken abkaufen lassen. Die drohende Enthemmung war überall mit Händen zu greifen, zielgenau platziert auf der Schwelle zwischen Wahn und Wirklichkeitsbeschreibung. "Wir haben keinen Zombiefilm gedreht, sondern einen 'Tatort', der einen Umweltskandal realistisch erzählt", beteuert gleichwohl Regisseurin Sabine Bernardi: "Es war allerdings erstaunlich zu sehen, wie gut sich beides miteinander kombinieren lässt."

Ergab die Story Sinn?

Unbedingt! Die haarscharf vor der Grenze des Übernatürlichen platzierte Plot sagte viel aus über die Zustände im Hier und Jetzt. Über die Gier der Konzerne und die Grausamkeit, zu der Menschen unter Existenzdruck fähig sind. Kannibalismus aus Angst vorm Gefressenwerden – die Ultima Ratio des Raubtierkapitalismus ist im deutschen Krimi selten trefflicher ins Bild gesetzt worden.

Wie waren die Ermittler in Form?

Punkrockpolizist Falke und seine doch recht spröde neue Kollegin Julia Grosz: Von einem eingespielten Team waren sie im zweiten gemeinsamen Fall (nach "Zorn Gottes", 2016) weit entfernt. Immerhin konzentrierte sich die unterkühlte Grosz auf die Ermittlungen und erkannte viel schneller als der Kollege, dass die Dörfler von "irgendwas befallen" sein müssen. Falke wiederum war oft mit dem Kopf und manchmal auch leibhaftig beim Problem-Sohn in Hamburg. Der schwächste Aspekt eines ansonsten hervorragenden Drehbuchs (Marvin Kren und Georg Lippert).

Ist Fracking in Deutschland überhaupt erlaubt?

Ist es! Hydraulic Fracturing oder kurz Fracking darf auch nach dem von vielen Kontroversen begleiteten und 2016 verabschiedeten "Fracking-Gesetz" betrieben werden. Allerdings nur das sogenannte "Tight-Gas-Fracking" in tief lagernden Schichten dichten Sandsteins. Unerwünschte Nebenwirkungen, wie sie in diesem "Tatort" zu beklagen waren, wollte der Gesetzgeber verhindern. "Aber", so mahnt Drehbuchautor Georg Lippert, "auch bei der konventionellen Gasförderung besteht der Verdacht, dass Giftstoffe aus den Bohrstellen in die Umwelt gelangen."

Welche Band war das, die im Hamburger Club spielte?

AnnenMayKantereit heißt die Kölner Rock-Band, die 2016 mit dem Nummer-Eins-Album "Alles nix Konkretes" kometenhaft bekannt wurde. Der Bandname setzt sich aus den Familiennamen der Mitglieder Christopher Annen, Henning May und Severin Kantereit zusammen. Der melancholische Song, der im "Tatort" zu hören ist, heißt "Oft gefragt", er trifft die Stimmung des besorgten Vaters Falke perfekt.

War dieser "Tatort" schon wieder zu experimentell?

Nach Zuschauerprotesten und erheblichen Quotenschwankungen haben die ARD-Oberen zuletzt verlauten lassen, es würden unter der "Tatort"-Dachmarke künftig nur noch zwei "experimentelle" Produktionen pro Jahr gestattet. Nicht dass die ARD da einen lebenswichtigen Innovationsmotor abwürgt! Wie belebend der Einfluss Krimi-fremder Genres sein kann, zeigte diese NDR-Folge mit dem Ermittler Falke musterhaft. Hier wurden Mördersuche und Zombie-Motive nicht nur spannend, sondern auch ausnehmend klug zu einem mitreißenden Öko-Thriller verdichtet.

Wir vergeben eine glatte Zwei.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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