Isabelle Huppert brilliert

"Elle": irritierende Contenance eines Opfers

von Heidi Reutter

Isabelle Huppert balanciert in dem ebenso verstörenden wie überraschenden Thriller von "Basic Instinct"-Regisseur Paul Verhoeven an der Schmerzgrenze.

3sat
Elle
Thriller • 08.02.2019 • 22:25 Uhr

Isabelle Huppert hat keine Angst vor prekären Figuren. Immer wieder lotet die grandiose französische Aktrice die Krisen und Abgründe des menschlichen Seins aus. 2016 besetzte sie der niederländische Regisseur Paul Verhoeven perfekt für "Elle" (2016) in der Rolle einer erfolgreichen, eiskalten Geschäftsfrau, die vergewaltigt wird und damit auf ihre Weise umgeht. Eine Oscar-Nominierung und zahlreiche Auszeichnungen folgte. Nun feiert der ebenso ungewöhnliche wie unmoralische, beinahe schon grotesk anmutende Erotik-Thriller auf 3sat seine Free-TV-Premiere.

Michèle Leblanc (Isabelle Huppert) ist eine Frau, die ihren Mann steht. Sie ist Chefin einer Firma, die Videospiele produziert. Mit der kühlen Präzision, mit der sie die beruflichen Herausforderungen angeht, organisiert sie auch ihr Privatleben. Als sie eines Tages in ihrem eigenen Haus von einem Unbekannten angegriffen und vergewaltigt wird, reagiert sie anschließend derart beherrscht, dass man nicht weiß, ob der brutale Akt nicht eher ein sexuelles Rollenspiel war.

Michèle wendet sich bewusst nicht an die Polizei, erzählt allerdings ihrem gewalttätigen Ex-Mann (Charles Berling) und ihrer Arbeitskollegin Anna (Anne Consigny) von dem Vorfall – en passant beim Abendessen, der Champagner muss eben warten. Von Rachegelüsten ist bei Michèle keine Spur, stattdessen irritiert sie mit ihrem untypischen Verhalten.

Basierend auf dem Roman "Oh..." von Philippe Djian inszenierte Regisseur Paul Verhoeven einen Thriller um Sex und Abgründe, der unter die Haut geht. Das ist vor allem der ambivalenten Figur von Michèle geschuldet, die sich in diesem Film nicht, wie zu erwarten wäre, als Opfer geriert. Stattdessen überrascht sie als selbstbestimmte, unerschütterliche Heldin, die dem Leben mit einem unterkühlten Pragmatismus und einer arroganten Unerschrockenheit begegnet, was möglicherweise mit ihrer familiären Vorgeschichte zu tun haben könnte. Das geht so weit, dass sie sich mit ihrem Peiniger wieder trifft und eine abnorme Beziehung beginnt.

Bei der Premiere bei den Filmfestspielen 2016 in Cannes sorgte der kontroverse Film für Diskussionen. "Elle" stellt bisherige Frauenbilder derart kühn auf den Kopf, dass der Begriff Emanzipation eine neue Konnotation erhält. Verhoeven liefert einen Thriller ab, der fast schon grotesk anmutet, gänzlich unmoralisch und unvorhersehbar ist und sich in keine Kategorie pressen lässt. Wenn überhaupt, dann in diese: außergewöhnlich.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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