Kritik zum ARD-Film

"Exit": Hoffnung auf ein deutsches "Black Mirror"

von Eric Leimann

Ein Gespräch mit der Mutter, die schon vor einigen Jahren gestorben ist: Die neue Technik der Digitalisierung macht's möglich. Der Auftakt zu einer Reihe mit deutschen Science Fiction-Filmen lässt auf spannendes Fernsehen hoffen.

ARD
Exit
Science Fiction • 28.10.2020 • 20:35 Uhr

Jungunternehmer Linus (Friedrich Mücke) spricht per Video-Telefonie mit seiner Mutter (Emanuela von Frankenberg). Es ist ein typisches Gespräch zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern. Wann kommst du denn mal wieder? Bringst du deine Freundin mit? Ja, an Weihnachten soll es soweit sein. Alle kommen zusammen, so wie früher. Die Melancholie über bereits gelebtes Leben schwingt in diesem gefühlvollen Dialog mit, auch die Freude und das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Familie. Die schöne Eröffnungssequenz des Science Fiction-Fernsehfilms "Exit" weist einige nur ganz leicht irritierende Momente auf, die jedoch bald einem großen Aha-Effekt weichen: Linus' Mutter ist schon vor einigen Jahren gestorben, doch die Technik seiner Firma "Infinitalk" macht es möglich, dass die Toten weiter unter den Menschen weilen, weil ihr Leben zuvor vollständig digitalisiert wurde.

Tatsächlich war das Mutter-Sohn-Gespräch eine technische Demonstration unter Business-Partnern in spe, denn Linus und seine Kompagnons, darunter seine Ex-Verlobte Luca (Laura de Boer), verhandeln in einem Tokioter Hotel mit dem eiskalten Großunternehmer Linden Li (David Tse) über den Verkauf ihres Start-ups.

Lis Unternehmen ist der weltweit führende Hersteller von Hologramm-Technik. Fusioniert mit den Möglichkeiten von Infinitalk könnten die Toten bald ewig weiterleben, als lebensechte 3D-Bilder mit vollständig erhaltener Persönlichkeit und perfekter Trost für die Hinterbliebenen. Das ewige Leben, nur noch ein Steinwurf entfernt.

Während Linus' übrige Geschäftspartner (Jan Krauter, Aram Tafreshian) den Deal mit Li herbeisehnen, empfindet Luca Skrupel ob der Zukunftsvision, die da im Raum steht. Auch Linus selbst schwankt in seinen Überlegungen. Am nächsten Morgen soll der Vertrag unterzeichnet werden, doch Luca ist aus ihrem Hotelzimmer verschwunden. Sie sei nach Deutschland zurückgereist, heißt es. Als Linus auf immer mehr Ungereimtheiten hinter den Abläufen im Hotel stößt, fragt er sich, ob er nicht schon längst Teil einer Simulation ist.

Gratulation an das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Endlich wurde mal keine neue Krimireihe aus der Taufe gehoben. Nein, auch kein romantisches Fernweh-Tête-à-tête, sondern ein Bündel von Filmen, die sich mit unserem Leben in einer nahen Zukunft beschäftigen. Ursprung des Ganzen ist die Short Story-Sammlung "2029 – Geschichten von morgen", die vor etwa einem Jahr beim Suhrkamp-Verlag erschienen ist, und in der renommierte deutsche Autoren Zukunftsszenarien entwickelten, die nun in einem Gemeinschaftsprojekt von SWR und NDR nach und nach zu Filmen werden.

Nach "Exit" soll Maria Schraders erste Regiearbeit fürs deutsche Fernsehen "Ich bin dein Mensch" als zweiter Film der Reihe 2021 im Ersten zu sehen sein. Maren Eggert, früher als Axel Milbergs Partnerin im Kieler "Tatort" aktiv, spielt eine Frau, deren Wünsche nach Liebe von einem künstlichen Menschen befriedigt werden. Ein verwerfliches Szenario? In Form einer romantischen Komödie greift die Regie-Emmy-Gewinnerin ("Unorthodox") diesen Stoff auf.

Zum Lachen gibt es derweil in "Exit", einer Arbeit der beiden Grimme-Preisträger Sebastian Marka (Regie) und Erol Yesilkaya (Drehbuch) indes wenig. Der thrillerhafte 90-Minüter der beiden Genrefilm-Liebhaber ("Tatort: Meta") ist ein grimmiges Gedankenspiel in durchaus feiner Optik, dessen für einen Science Fiction-Film eher kleines Budget – es lag auf "Tatort"-Niveau – dem Film keineswegs anzusehen ist. Im Gegenteil: Marka und sein Kameramann Willy Dettmeyer ("Tatort: Die Nacht gehört dir") finden starke, kreative Bilder für das Leben in einer deutlich in Richtung Virtualität veränderten Welt. Trotzdem lebt "Exit" weniger von seiner edlen Bilderhülle als von seiner starken Geschichte. Hier und da verzeiht man ihr ein paar klischeehafte Momente, die sich vor allem in arg thrillerhaft gebauten Dialogen widerspiegeln.

Man darf durchaus gespannt sein, welche Filme der "Near Future"-Offensive demnächst folgen. Gegenwärtige, so heißt es, arbeite der NDR an einer dritten Verfilmung des Suhrkamp-Buches "2029", das insgesamt elf Geschichten bereithält. Dass die ARD-Reihe zum deutschen Pendant der britisch-amerikanischen Anthology-Serie "Black Mirror" wird, die auf Netflix seit Jahren eine Menge Kritiker- und Fanlob einsammelt, ist nicht auszuschließen – auch wenn die Möglichkeiten in Sachen Budget pro Folge sicher deutlich geringer ausfallen, als beim Renommee-Projekt des weltweiten Streaming-Dienstes.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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