Nonnen erheben schwere Vorwürfe

"Gottes missbrauchte Dienerinnen": ARTE-Doku enthüllt Skandal

von Andreas Schoettl

Unlängst zeigte sich die katholische Kirche reumütig. Bei einem Antimissbrauchsgipfel im Vatikan sollten die Pädophilieskandale aufgearbeitet und Lösungsvorschläge gefunden werden. Doch schon werden neue erschütternde Vorwürfe laut. Priester sollen Nonnen missbraucht haben.

Die katholische Kirche steht wegen diverser Missbrauchsskandale seit Jahren unter Druck. Papst Franziskus hatte mit einem viertägigen Antimissbrauchsgipfel im Vatikan erst unlängst versucht, etwas Licht in eine schlimme Vergangenheit zu bringen. Auch sollten neue Wege gegen den Missbrauch von Kindern durch Geistliche gefunden werden. Kardinal Reinhard Marx, der Chef der Deutschen Bischofskonferenz, etwa schlug vor, dass Zahlen und Einzelheiten zu Missbrauchsfällen künftig öffentlich gemacht werden. Ideen, die allgemein begrüßt wurden. Doch diese Maßnahmen sind kaum umgesetzt, schon türmt sich ein weiterer schwerwiegender Vorwurf gegen die katholische Kirche auf. Überall auf der Welt sollen Priester Nonnen missbraucht haben. Missstände, die der Dokumentarfilm "Gottes missbrauchte Dienerinnen" nun aufdecken will. Der brandaktuelle ARTE-Beitrag enthüllt (am Dienstag, 5. März, 20.15 Uhr) einen der bestverschleierten Skandale innerhalb der katholischen Kirche.

Die französischen Regisseure Eric Quintin und Marie-Piere Raimbault stellten mehr als zwei Jahre lang Recherchen an. Die Ergebnisse erschüttern. Im Film heißt es, es seien Verbrechen, die seit mehr als 20 Jahren von Schwestern auf allen Kontinenten angeprangert werden, einfach totgeschwiegen worden. Die übergriffigen Priester sollen von der Gerichtsbarkeit des Vatikans sogar geschützt worden sein. Von öffentlichen Meldungen, wie von Kardinal Marx gefordert, konnte bei diesem Thema überhaupt keine Rede sein. Bislang!

Papst Franziskus räumt sexuellen Missbrauch von Nonnen ein

Papst Franziskus selbst war es, der erst Anfang Februar den sexuellen Missbrauch von Nonnen zumindest eingeräumt hatte. "Es stimmt, es ist ein Problem. Ich weiß, dass Priester und auch Bischöfe das getan haben. Und ich glaube, es wird immer noch getan", sagte er auf eine Journalistenfrage, was der Vatikan gegen den sexuellen Missbrauch von Ordensschwestern unternehmen wolle. Bis zu dieser doch erstaunlichen Aussage hatte sich Franziskus nicht zu dem Thema geäußert. Eine erste Relativierung schob der Papst aber sogleich nach. Es betreffe einige Kulturen oder religiöse Gemeinschaften mehr als andere, erklärte das Kirchenoberhaupt. "Es ist keine Sache, die alle machen."

Das Beispiel der Ordensschwester Doris lässt jedoch auf ein anderes Bild schließen. Die junge Deutsche wurde nur unweit des Vatikans bei einer Kirchengemeinde ausgebildet. In der römischen Niederlassung ihrer Gemeinde wurde sie dann von ihrem Vorgesetzten immer wieder in dessen Zimmer bestellt ...

Sogar mehr als 25 Jahre lang durchlebte die französische Ordensschwester Michèle-France sexuellen Missbrauch. 1971 war sie in das Karmelitinnenkloster in Boulogne-Billancourt eingetreten. Als geistlicher Beistand war ihr ein Pater zu Seite gestellt worden. Als Anleitung, wie es hieß. Wie diese genau aussah, wurde ihr rasch gezeigt. Sie erinnert sich: "Ich betrat das Sprechzimmer, Und der Pater fragte: 'Erlauben Sie, dass ich Ihre Hand nehme?' Dann begann er, meine Finger zu küssen, einen nach dem anderen. Bei jeder Begegnung ging er ein Stück weiter in der körperlichen Intimität. Er steckte zum Beispiel seine Hand unter meine Robe oder führte meine Hand unter die seine."

Genannter Pater, im Orden galt er als "heiliger Mann", spielte vor allem mit der Unwissenheit seiner jungen Untergebenen. Beinahe haarsträubend waren so denn auch seine Erklärungsversuche. Gegenüber Michèle-France soll er gesagt haben: "Seine Rechtfertigung dafür war, er wolle mich die Liebe Jesu zu mir spüren lassen. Er wisse und habe im Gebet gespürt, dass ich das brauche, und Jesus wolle genau das für mich, durch ihn. Er verwendete dafür oft einen bestimmten Ausdruck: Er sei das 'kleine Werkzeug' Jesu.

Unter anderem am Beispiel der jungen Michèle-France zeigen die Autoren, dass hinter den Missbrauchsvorwürfen womöglich sogar ein ganzes System stecken könnte. So sei sie von ihrem ersten Peiniger sogar an dessen älteren Bruder weitergereicht worden, berichtet sie: "Unter diesem wiederholte sich das, was zuvor schon passiert war – es war fast zur Routine geworden." Und schlimmer noch: "Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber ich würde sagen, es passierte alle zwei Wochen. Nein, nicht jeden Tag, denn wie ich bald herausfand, war ich nicht die Einzige, die der Pater in sein Bett holte."

Nonnen als Sexsklavinnen?

Im Film erstrecken sich die Vorwürfe vieler betroffener Frauen beinahe über die gesamte christlich-katholische Welt. Wie sagte Papst Franziskus noch? "Es ist keine Sache, die alle machen!" Die Autoren erheben nach ihren umfangreichen Recherchen weltweit ganz andere Vorwürfe. Sie behaupten, dass in den Missionsgebieten Asiens, Lateinamerikas und Afrikas Nonnen teilweise sogar zu Sexsklavinnen erniedrigt würden. Auch eine vermeintliche Versündigung nach Abtreibung thematisieren sie. Auch darin seien katholische Priester bis hin zu hohen "Würdenträgern" verstrickt.

Die Nonne Constance beispielsweise brachte den Mut auf, über das Verbrechen der Abtreibung zu erzählen. So dürften in ihrer westafrikanischen Heimat die von Priestern missbrauchten Nonnen kaum darauf hoffen, ihr Kind zu behalten. Sie berichtet von einem Fall, den sie selbst erlebt habe. Constance: "Wenn eine Nonne schwanger wird und das Kind behalten will, muss sie den Orden verlassen und bekommt kein Geld. Hier in Afrika ist eine ungewollte Schwangerschaft schon ein Skandal, wenn man keine Nonne ist. Eine schwangere Nonne aber gilt als Teufel und wird sogar von der eigenen Familie verstoßen. Viele verzweifeln. Ich kenne so eine Frau, die von allen verstoßen wurde. Sie wollte abtreiben und starb dabei."

Im Zuge ihrer Recherchen decken die Autoren nicht nur zahlreiche Fälle des Missbrauchs an Frauen auf. Sie fordern auch zu einer direkten Aufarbeitung innerhalb der katholischen Kirche auf. Es sollte zu einem Treffen mit Papst Franziskus sowie den Missbrauchsopfern Doris und Michèle-France kommen, heißt es in dem Beitrag. Das Kirchenoberhaupt erklärte sich sogar bereit dafür – allerdings nur unter den Bedingungen, dass dieses im engsten Kreise geschehe, ohne Kamera und externe Beobachter. Die Filmemacher lehnten in Übereinstimmung mit ihren Zeuginnen ab. Sie sagen, sie wollten nicht, dass die Opfer erneut nur im Rahmen einer Privataudienz zu Wort kommen und somit dazu beizutragen, dass der Heilige Vater weiterhin die Problematik der Sexsklavinnen in der katholischen Kirche verschweigt.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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