Musiker im Interview

Konstantin Wecker: "Die Kultur hat keine Lobby"

13.01.2021, 15.00 Uhr
von Felix Förster
Konstantin Wecker hat ein neues Live-Album veröffentlicht.
Konstantin Wecker hat ein neues Live-Album veröffentlicht.  Fotoquelle: Thomas Karsten

Konstantin Wecker veröffentlicht mitten in der Corona-Zeit ein neues Live-Album, das er im September unter besonderen Vorzeichen in Wien eingespielt hat. Im Interview mit prisma spricht der Liedermacher über die darbende Kultur während der Pandemie, die Sehnsucht nach seinem Publikum und seine Arbeit als Schauspieler und Filmkomponist. Dabei ist der Münchener gewohnt meinungsstark.

Es gibt viele Bezeichnungen für Sie: Liedermacher, Schauspieler, Autor, politischer Aktivist. Als was würden Sie sich persönlich selbst bezeichnen?

Konstantin Wecker: Als Poet. Denn im Grunde meines Herzens ist es die Poesie, die mich mein Leben lang geleitet hat. Natürlich würde ich mich auch in der Musik verorten. Was den Schauspieler betrifft, da habe ich schon in meiner Biografie ausführlich geschrieben, dass ich eigentlich keiner bin. Ich habe zwar viele Rollen gespielt in meinem Leben, aber ich bezeichne mich nicht als Schauspieler. Ich habe das Glück gehabt, tolle Regisseure zu haben, aber ich bin kein Schauspieler, auch bei meinen Auftritten auf der Bühne nicht.

Sie haben nun mitten in der Corona-Zeit ein neues Live-Album herausgebracht, das im September live in Wien aufgenommen wurde. Wie lief das da ab? Da war ja auch schon Pandemie...

Konstantin Wecker: Das Konzert war ein riesiger Glücksfall. Wegen Corona wurde die Idee vom Theater im Park entwickelt. Zu meinem Konzert waren im Wiener Stadtpark 1100 Leute erlaubt und die kamen dann auch. Die Leute saßen mit Abstand und wie man das jetzt nennt ‚corona-konform‘ auf ihren Plätzen. Das war das letzte Mal vor dem zweiten Lockdown, dass ich noch einmal so viele Leute dahaben konnte. Interessanterweise wollte ich davon kein Album veröffentlichen, mein Toningenieur sollte das eigentlich nur für das Archiv aufzeichnen. Dann hat mich dieser Abend aber so umgehauen, dass wir gesagt haben, wir müssen das auf jeden Fall herausbringen.

Das Konzept des Abends sah vor, dass Ihre Texte von Theaterprofis wie Dörte Lyssewski vom Wiener Burgtheater und Michael Dangl vom Theater in der Josefstadt rezitiert wurden. Wie war das für Sie?

Konstantin Wecker: Die beiden Schauspieler sind ja für sich gesehen schon großartig. Dazu kam nun auch noch, dass sich die beiden meine Texte selbst ausgesucht haben. Ich habe nicht vorgegeben, was sie lesen sollen. Dadurch wurde der Auftritt so spannend. Da sind Gedichte dabei, die ich als 16-Jähriger, als 20-Jähriger, als 30-Jähriger geschrieben habe. Man liest ja seine eigenen Gedichte normalerweise nicht mehr durch im Alter (lacht). Da waren ein paar Sachen dabei, die kannte ich gar nicht mehr, und die haben mich umgehauen. Deshalb war dieser Abend eine große Überraschung für mich. Und dass die Texte dann auch noch von diesen tollen Schauspielern vorgetragen und so neu interpretiert und dann auch wahrgenommen wurden, war wirklich ein absoluter Glücksfall. Und wir hatten auch noch ein überragendes Publikum. Aber das ist eben Wien, eine absolute Kulturstadt. Und Sie dürfen nicht vergessen, dass ist ja kein leichtes Programm, viel Poesie, ich alleine am Klavier. Das war überragend in Wien! Ein Highlight in meiner Konzert-Laufbahn.

Glauben Sie, dass der Abend auch so besonders war, weil die äußeren Umstände Publikum und Künstler noch einmal ganz besonders zusammengeschweißt haben? Wenn man das Album hört und nicht wüsste, wann das aufgenommen wurde, würde man gar nichts von der Corona-Situation merken.

Konstantin Wecker: Ganz bestimmt. Ich habe mich auch beim Publikum für seinen Mut bedankt, zu kommen. Ich habe schon in manchen anderen Konzerten, die ich in dieser Zeit hatte, vor allem im Sommer, gemerkt, dass viele Angst hatten. Mein Publikum ist ja auch eher älter. Mir hat ein Veranstalter mal gesagt, bei den Jugendlichen sei das ganz anders. Die haben überhaupt keine Sorge, die kommen eben zum Konzert. Bei den Älteren sieht das anders aus und das kann man das ja auch verstehen.

Der zweite Lockdown, der uns momentan umtreibt, trifft vor allem die Kulturschaffenden. Haben Sie das Gefühl, dass es für diese Branche zu wenig Empathie gibt?

Konstantin Wecker: Weil die Kultur für die meisten Politiker nicht systemrelevant ist. Und das regt mich maßlos auf. Denn Kultur ist Nahrung für die Seele, in der Kultur entdecken wir unsere Menschlichkeit wieder. Hätte es in den letzten Jahrtausenden keine Kultur gegeben, dann hätte es noch mehr Kriege gegeben, noch mehr Gewalt und noch mehr Zerstörung. Die Kultur ist einfach notwendig für die Menschen und ich denke, dass es schon einige Politiker gibt, die nicht unglücklich darüber sind, dass jetzt die Subkultur etwas darben muss. Den Verdacht habe ich.

Kann es sein, dass die Kultur einfach keine Lobby hat?

Konstantin Wecker: Ja, wir haben keine Lobby. Ich habe das ganz oft mit Kollegen meines Labels besprochen, wir haben gemeinsam Streaming-Konzerte gemacht. Vielen geht es schon sehr schlecht, auch den Technikern und den Mitarbeitern der Veranstaltungsbranche.

Das ist ein kultureller Kahlschlag, der da gerade passiert. Glauben Sie, dass sich die Szene davon erholen wird? Sie haben ja Einblicke. Wie lange kann das überhaupt noch so weitergehen?

Konstantin Wecker: Für junge Künstler, die jetzt zum Beispiel ein Album gemacht haben, und das präsentieren wollen, ist es sehr schwierig. Denen geht es wahnsinnig schlecht. Die verkaufen ihre CDs ja quasi nur live und die können sich und ihre Werke überhaupt nicht präsentieren. Doch es gibt auch Dinge, die mir Hoffnung machen. Ich war jetzt auf einer Pressekonferenz in München, da hat ein Pfarrer gesagt, ich möchte der Kultur helfen. Gottesdienste sind ja erlaubt und so haben wir gemeinsam ein Kulturprogramm entwickelt, das wir dort spielen. Ich hoffe so sehr, dass uns der bayerische Staat da nicht noch einen Riegel vorschiebt. Aber wir haben es einmal angefangen… Ich finde es eine großartige Idee. Kunst und Kultur hat ja auch immer etwas mit Gottesdienst zu tun, je nachdem wie man Gott beschreibt. Es muss ja nicht der strenge Gott der katholischen Kirche sein, sondern etwas Spirituelles oder das zutiefst in uns wohnende Menschliche. Das wird durch die Kunst und Kultur entdeckt und geweckt.

Wann könnte denn der Normalbetrieb wieder anfangen?

Konstantin Wecker: Die Veranstalter haben die Hoffnung, dass es im Sommer wieder mit Open Airs möglich sein wird und es im Herbst den normalen Konzertbetrieb geben kann. Je nachdem wie die Impfungen sein werden. Ich habe eigentlich für März und April schon geplant. Ich bräuchte sowieso im Jahr 21 einen Doppelgänger, weil so viele Konzerte verschoben wurden. Ich weiß im Moment gar nicht genau, ob ich das alles schaffe (lacht).

Die Pläne sind aber da, und darauf werden Sie sich ja mit Sicherheit freuen. Ich habe ein Zitat von Ihnen gelesen, dass Ihnen besonders dieses Gemurmel vor den Konzerten fehlt. Diese Vorfreude des Publikums auf den Künstler.

Konstantin Wecker: Ja und manchmal auch diese gemeinsame Stille. Es gibt einen schönen Satz von Pablo "Pau" Casals, dem berühmten Cellisten, der einmal sagte: "Es ist nicht der Applaus, der den Künstler ehrt. Es ist die Stille, die den Künstler ehrt." Applaus braucht man natürlich auch. Aber die Stille, die manchmal da ist, wenn man merkt, da ist jetzt eine Gemeinsamkeit vorhanden. Das ist ganz besonders. Ich habe gemerkt, dass ich dem Publikum in erster Linie Mut machen konnte. So dass sie merkten, sie stehen mit ihren Ansichten nicht allein, da sind viele andere, die auch so denken. Nehmen wir zum Beispiel die Flüchtlingshilfe. Was gibt es für wunderbare, im Stillen für sich arbeitende Flüchtlingshelferinnen? Die fühlen sich schon sehr allein gelassen von den großen Medien. Gerade zurzeit. Da konnte ein Konzert sie wahnsinnig aufbauen. Mir hat ein älterer Herr mal nach einem Konzert geschrieben, ‚Herr Wecker, ich wollte eigentlich den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Aber ich war jetzt in Ihrem Konzert und ich verspreche Ihnen, ich engagiere mich weiter‘.

Gibt es irgendetwas, das Sie Ihrem Publikum momentan sagen möchten?

Konstantin Wecker: Es gibt da etwas, das mir sehr wichtig ist: Ich wurde von Teilen meines Publikums – mitunter auch etwas unverschämt – aufgefordert, bei den Querdenker-Demos mitzumachen. Ich habe da ganz deutlich in einem Statement klargemacht, dass es für mich kein "rechts-offen" gibt, und ich werde nie auf einer Demo zu sehen sein, wo neben mir ein AfDler, ein Reichsbürger oder ein Neonazi ist. Wir müssen furchtbar aufpassen, dass da nicht etwas entsteht, was dem Faschismus Vorschub leisten kann.

Das Problem ist natürlich momentan, dass sich viele Bürger von der Regierung ignoriert fühlen, und dadurch entstehen ja auch diese Demos. Es gibt kaum einen Dialog. Sehen Sie das ähnlich?

Konstantin Wecker: Da hat man natürlich vieles falsch gemacht. Sie wissen sicher, ich bin definitiv kein Pandemie-Leugner und es für uns alle unangenehm und schwer, keine Frage. Trotzdem sollten wir daran denken, dass es in Kriegsgebieten grausames Leid gibt, das so viel schlimmer ist. Ich denke manchmal über meine Eltern nach. Meine Eltern waren ja keine Nazis. Die hatte zuerst einmal die Wirtschaftskrise als Kinder erlebt, dann als junge Leute die Nazis, denen sie nicht begeistert hinterhergelaufensind, und dann noch den Zweiten Weltkrieg. Wenn man das bedenkt, sprechen wir von einer Position aus, dass es dann nicht so schlimm ist, zeitweise mal eine Maske zu tragen und nicht so ausgelassen zu feiern wie man das über Jahrzehnte hin tun konnte.

Trotzdem geht es für nicht wenige um die Existenz. Wie könnte denn den momentan von Corona besonders Betroffenen geholfen werden?

Konstantin Wecker: Wir bräuchten für alle, die jetzt durch diese Corona-Krise wirklich leiden und das sind ja nicht nur die Kunstschaffenden, das ist die Technik, die Gastronomie, die Clubbesitzer und so weiter, ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ganz viele Menschen haben Angst, aus ihrer Wohnung geschmissen zu werden. Die Mieten werden ja nicht billiger, sondern immer noch teurer. Speziell in München, der Mietspiegel steigt ja immer weiter an, und das in Zeiten, in denen sich ganz viele Menschen die Mieten gar nicht mehr leisten können. Ich habe einen Freund, der hat eine Wohnung bekommen, 800 Euro Miete für 20 Quadratmeter. Das ist Wahnsinn, das geht nicht mehr. Da müsste wirklich etwas getan werden, und nicht ausschließlich für Lufthansa und andere Konzerne. Da müsste der Staat unbedingt was tun.

Mal ein anderes, etwas leichteres Thema: Sie sind auch als Filmkomponist bekannt geworden.

Konstantin Wecker: Das hat mir große Freude gemacht.

Ist da in Zukunft noch einmal etwas geplant?

Konstantin Wecker: Ich würde das jederzeit für einen guten Film wieder machen. Ich würde auch gerne wieder als Darsteller arbeiten. Mein letzter, sehr guter Film war „Wunderkinder“ von 2011, in dem ich das absolute Ekel gespielt habe, einen SS-Mann. Das war ein richtig toller Film, wenn so etwas wieder auf mich zukäme, sehr gerne.

Mit dem bekannten Regisseur Michael Verhoeven haben Sie zusammengearbeitet, mit Helmut Dietl, für den Sie bei "Kir Royal" und "Schtonk" die Musik gemacht haben. Das sind Klassiker des satirischen, deutschen Films. Wie war die Zusammenarbeit mit Dietl?

Konstantin Wecker: Das war so ein Glück. Den Helmut Dietl habe ich kennengelernt als ich aus meiner Wohnung in München auszog, und er in die gleiche Wohnung einzog. Wir treffen uns im Treppenhaus, er schleppt gerade was hoch und ich was runter. Da sag ich: Du bist doch der Dietl? Da sagt er: Ja, freilich. Daraufhin ich: Ich würde wahnsinnig gern für Dich mal eine Filmmusik machen. Drei Wochen später hatte ich den Auftrag für Kir Royal. Das war eine tolle Zusammenarbeit mit dem Helmut, auch bei Schtonk. Ich habe so viel gelernt von ihm.

Kir Royal lief ja in der ARD damals in den 80ern. Solch humoristische Ansätze sind eher seltener zu sehen mittlerweile, gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen. Da geht es deutlich bedeutungsschwerer zu. Haben Sie auch diesen Eindruck?

Konstantin Wecker: Ich habe auch das Gefühl, aber man muss auch sagen, da braucht man schon besondere Genies, um so etwas wie Kir Royal zu drehen. Und der Dietl gehörte eben zu den wenigen, die das so konnten. Da sehe ich momentan keinen wirklichen Nachfolger für den Helmut.

MUSIK-TIPP

  • Jeder Augenblick ist ewig
  • Lieder und Gedichte von Konstantin Wecker
  • 2 CDs
  • Laut & Luise

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