Anne Weinknecht im Interview

"Milk & Honey" – eine moderne Heimatserie?

von Eric Leimann

Die neue VOX-Serie "Milk & Honey" (ab Mittwoch, 14. November, 21.15 Uhr) erzählt von finanziell ausgemergelten Kumpels aus Brandenburg, die einen Escort-Service eröffnen. Im strukturschwachen Outback vor den Toren Berlins kann es schon mal passieren, dass selbst die Ehefrauen der Lustarbeiter deren Geschäftsidee unterstützen.

Anne Weinknecht spielt eine solche Ehefrau. Die 40-Jährige, selbst auf dem Land aufgewachsen, spricht im Interview über die Besonderheiten eines "strukturschwachen" Lebensgefühls, die komplexe Beziehung zwischen Sex und Nähe sowie abgenutzte Geschlechterklischees, die im Nachfolge-Produkt des VOX-Serienhits "Club der roten Bänder" aufs Korn genommen werden.

prisma: Kennen Sie sich mit dem Landleben aus?

Anne Weinknecht: Na klar, ich komme aus einem kleinen Ort an der Bergstraße, in der Nähe von Heidelberg. Ich bin ein absolutes Landei, auch wenn ich bereits seit zwölf Jahren in Berlin lebe. Aber diese Grundmentalität legt man ja nie ab. Das habe ich auch daran gemerkt, dass es lange gedauert hat, bis ich mich an das Leben in Berlin gewöhnt habe.

prisma: Was kennzeichnet das Landleben für Sie?

Anne Weinknecht: Es sind die vielen kleinen Dinge, die anders sind als in der Stadt. Zum Beispiel, dass man sehr viel Zeit im Auto verbringt. Das haben wir auch in die Serie integriert: Es gibt viele Dialoge auf der Fahrt von A nach B. Aber ich kann mich auch noch gut daran erinnern: diese immer gleichen Fahrten durch die Landschaft. Und wenn man jung ist, braucht man jemanden, der einen bringt oder abholt. Auch so etwas gestaltet das Leben und seine Beziehungen.

prisma: Heute wird viel über Globalisierung geredet. Angeblich kann man überall alles tun. Wie sehr bestimmt ein leerer Landstrich dennoch das Bewusstsein seiner Bewohner?

Anne Weinknecht: Mehr als man denkt, glaube ich. Die Globalisierung nimmt ja selbst in ihrer positiven Bedeutung nicht jeden mit. Man merkt den Charakteren unserer Serie an, dass sie an einem Ort zu Hause sind, der wenig Möglichkeiten bietet. Anders würde die Serienidee auch nicht funktionieren: Vier Männer entscheiden sich aus finanziellen Nöten dazu, als Escort-Service zu arbeiten. Es existieren auch in Deutschland Orte, da klammert man sich an jede Idee, an jeden Strohhalm, der das Überleben sichern könnte.

prisma: Gleichzeitig ist es auch die Entscheidung der Protagonisten, nicht weggehen zu wollen...

Anne Weinknecht: Genau. Darin liegt auch eine positive Kraft oder wenn man so will, ein positiver "Vibe" dieser Serie. Die Leute mögen ihre Heimat, sie wollen gar nicht weg. Die haben sich für dieses Leben entschieden und möchten, dass es dort funktioniert.

prisma: Sozusagen eine moderne Heimatserie?

Anne Weinknecht: Das trifft es ganz gut. Die israelische Originalserie erzählt ja aus Galiläa, einer auf ihre Art abgelegenen Gegend. Den deutschen Serienmachern haben sich überlegt, dass dieser Ort in der Übersetzung sehr gut im Brandenburgischen liegen könnte. Meine Figur Andrea hat sogar mit ihrem Mann dort gebaut, obwohl sie ein Kind und kaum Kohle haben. Nun leben sie dort in einer Art Rohbau. Das sieht durchaus ein wenig besorgniserregend aus. Man fragt sich: Was tun die, wenn der Winter kommt?

prisma: Am Anfang der Serie denkt man, dass sich diese Kumpels nun mit ihren Sex-Dienstleistungen in ulkige, komödiantische Schwierigkeiten verstricken. Mit der Zeit gewinnt die Serie jedoch an Tiefe. Ist sie am Ende vielleicht mehr Drama als Komödie?

Anne Weinknecht: Ich finde, sie hält die Balance zwischen komödiantisch und tragisch anrührend über die gesamte Zeit. Es gibt immer wieder heitere Momente, oft aufgrund unfreiwilliger Komik der Protagonisten. Gleichzeitig befinden sich alle Hauptfiguren auf einer Seelenreise, die sie am Ende deutlich verändert entlässt. Vor allem geht es aber um die Frage, welche Beziehungen will man wie führen? Und was kann man dafür tun, dass die eigenen Wünsche wahr werden?

prisma: Ist eine der Erkenntnisse der Serie, dass es bei den meisten Menschen keinen Sex ohne Nähe oder Gefühle gibt?

Anne Weinknecht: Ja, absolut. Die komödiantische Grundidee, dass da ein paar Kumpel und Amateure ihre Körper verkaufen, um das Überleben in einer strukturschwachen Heimat zu sichern, ist nur der Ausgangspunkt dieser emotionalen Reise. Ich persönlich glaube, es gibt keinen Sex ohne Gefühle. Auch alle Kundinnen, die unsere Männer in der Serie "einkaufen", haben ein ganz eigenes Bedürfnis jenseits des Sex, weshalb sie den Escort-Service kontaktieren.

prisma: Und der Humor liegt darin, dass alle Charaktere von ihrer Aufgabe überfordert werden?

Anne Weinknecht: Ja. Unsere Männer sind für den Job in keiner Weise ausgebildet. Sie sind weder professionelle Call Boys noch Seelsorger. Irgendwas dazwischen – oder am besten beides – wünschen sich jedoch die Auftraggeberinnen. Es gibt tragikomische Episoden, in denen die Freunde an ihren Aufgaben scheitern, aber auch rührende, in denen sie an ihren Jobs wachsen – weil sie den Frauen helfen oder wohltuende Klarheit in ihre eigenen Beziehungen bringen.

prisma: Die Serie wurde auch tatsächlich in Brandenburg auf dem Lande gedreht.

Anne Weinknecht: Ja. Fast alle Szenen entstanden im letzten Sommer in und um Beelitz herum. Der Ort liegt südlich von Potsdam und ist vor allem als Spargelgegend bekannt. Natürlich hatten wir das Glück, einen fantastischen Sommer zu erleben. Man fuhr jeden Tag etwa eine Stunde raus aus Berlin und befand sich dann in einer völlig anderen Welt. Bis auf das Filmteam war sie oft menschenleer. Ich erinnere mich an die Pausen an meinem Hauptmotiv, dem Haus von Michi und Andrea. Es lag an einem Waldweg zwischen vielen Kiefern. Da standen dann unsere Mittagessen-Tische. Es herrschte völlige Stille, die Bäume rauschen, und nach dem Essen ging man wieder hinein ins Haus, um eine Szene zu drehen. Es war durchaus besonders – und sehr schön.

prisma: Was erzählt die Serie über das moderne Verhältnis zwischen Frauen und Männern. Dass sich Frauen heute Männer kaufen, wenn sie Lust auf sie haben?

Anne Weinknecht: Na klar, oberflächlich könnte man sagen: Aha, da werden jetzt endlich auch mal die Männer zum Objekt gemacht, indem sie von Frauen zum Sexzwecke erworben werden. Dazu gab es ja auch schon Serien und Filme. Ebenso wie die Tatsache, dass es selbstbewusster Frauen bedarf, die sich diese Objektivierung der Männer auch zutrauen. Ich glaube aber, dass in unserer Serie eher die Idee mitschwingt, dass sich Männer und Frauen in ihren Bedürfnissen gar nicht so sehr unterscheiden. Beide Geschlechter suchen nach Bestätigung, Verständnis, Zärtlichkeit und Liebe.

prisma: Und um das zu erreichen, gehen sie dieselben Wege?

Anne Weinknecht: Das würde ich nun nicht sagen (lacht). Meine persönliche Meinung, die sich nicht unbedingt mit der Serie decken muss, ist, dass Frauen meist ein wenig lebenspraktischer sind als Männer. Gerade in emotionalen Krisen spüren sie oft besser, was zu tun ist.

prisma: Wie kommen Sie zu dieser Erkenntnis?

Anne Weinknecht: Vielleicht ist es auch ein wenig meine Serienfigur, die da noch über mir schwebt. Andrea ist diejenige, die in der Ehe die Zügel in der Hand hält. Nicht nur, weil sie das Geld heranbringt, während Michi zu Beginn arbeitslos ist. Im Familien- und Freundeskreis habe ich jedoch ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie zeigten, dass in Krisen, die die Einheit der Gruppe bedrohen, es fast immer die Frauen sind, die eine solche Krise entschärfen oder lösen. Hinter jedem Mann steht eine starke Frau, heißt es manchmal. Ich glaube tatsächlich, dass es oft den Frauen zukommt, den Laden zusammenzuhalten.

prisma: Also ist es ein nicht zutreffendes Klischee, dass Frauen in Krisen emotional oder gar hysterisch werden, während Männer solche Situationen kühler und rationaler angehen?

Anne Weinknecht: Genau. Wie das Klischee, dass, wenn Männer, die eine schlechte Nachricht bekommen, sich betrinken und dann in ihrer Wohnung verlottern. Trotzdem findet das in der Realität auch mal statt – jedoch bei Männern wie bei Frauen. Was ich an "Milk & Honey" mag, ist, dass wir zwar mit den Geschlechter-Klischees spielen, aber dennoch überraschend und menschlich erzählen. Es geht niemals darum, sich über Männer oder Frauen lustig zu machen oder ihnen irgendwelche Stereotype überzubraten. Dabei käme – wahrscheinlich – auch keine interessante Serie mehr heraus.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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