Patrick Dempsey im Interview

"Dieser Charakter war eine Herausforderung"

von Vanessa Schwake

"McDreamy" unter Mordverdacht: In der neuen TVNOW-Serie "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" spielt Patrick Dempsey eine überraschende Hauptrolle. Ein guter Grund für ein Interview mit dem Star aus "Grey's Anatomy".

Er hat ihn noch: Diesen "Dr. McDreamy'-Blick", der die Herzen der Damen dahinschmelzen lässt. Doch in seiner neuen Serie richtet Patrick Dempsey die Augen auf ein sehr junges Mädchen – und steht anschließend unter Verdacht, die 15-Jährige getötet zu haben. Kein Frage, so düster wie in "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" haben wir Patrick Dempsey noch nie gesehen. Doch die Rolle des mysteriösen Schriftstellers steht dem 53-Jährigen überraschend gut. Der verantwortliche Serienschöpfer, Regisseur Jean-Jacques Annaud ("Der Name der Rose", "Sieben Jahre in Tibet"), befreite Dempsey von dessen "Grey's Anatomy"-Altlasten, in dem er ihn für die zehnteilige Verfilmung des Romans "La Vérité sur l'affaire Harry Quebert" des Schweizer Schriftstellers Joël Dicker besetzte. Manchmal braucht es eben die Rolle eines potenziellen pädophilen Mörders, um ein Saubermann-Image zu killen. Ab 1. April zeigt TVNOW die neue Thriller-Serie. Vorab hat der aus Maine stammende Dempsey im Interview verraten, wie er nach "Grey's Anatomy" Balance in sein Leben brachte, was sein Schlüssel zum Glück ist und warum er es nur maximal einen Tag lang in New York aushält.

prisma: Einen unter Mordverdacht stehenden Pädophilen darzustellen – das ist keine Rolle, wie jede andere. Überlegt man da dreimal, bevor man so ein Angebot annimmt?

Patrick Dempsey: Ganz ehrlich: Als ich Jean-Jacques Annauds Namen sah, war für mich klar, dass ich die Rolle spielen werde. Die Handlung hat mich auch sofort fasziniert. Endlich konnte ich bei einem Thriller mitwirken. Wer der Regisseur ist, spielt generell eine sehr große Rolle für mich. Und dieser Charakter war natürlich eine Herausforderung, für die ich meine Komfortzone verlassen musste.

prisma: Wie lief die Zusammenarbeit?

Dempsey: Jean-Jacques und ich haben uns ohne Worte verstanden. Es gab sofort eine Verbindung. Wir gingen sogar gemeinsam zum Boxen und Abendessen. Ich liebte es, ihm zuzuhören. Er ist ein weiser Mann, von dem ich sehr viel lernen konnte. Das Interessante dabei: Wir sprachen so gut wie gar nicht über die Geschichte von "Harry Quebert", und es gab keine Proben. Er sagte: "Es wird drei Kameras geben und dann nur einen oder maximal zwei Takes, und dann gehen wir direkt zur nächsten Szene."

prisma: Das heißt, Sie mussten auf den Punkt perfekt performen?

Dempsey: Ganz genau. Fast wie auf der Theaterbühne. Es war eine aufregende Art zu arbeiten mit sehr viel Spielraum für Improvisation. Die meisten Regisseure möchten, dass du exakt das wiedergibst, was im Script steht. Das kann schon sehr beengend sein. Wohingegen es unter Jean-Jacques die freieste Art zu arbeiten war, die ich jemals erleben durfte. In dem Moment, wenn er "Action" rief, musstest du einfach komplett los- und den Dingen ihren Lauf lassen.

prisma: Haben Sie Methoden, um so im Moment präsent zu sein?

Dempsey: Der Atem ist der Schlüssel zur Präsenz. Er holt dich ins Hier und Jetzt. Sich nicht in destruktiven Gedanken und Ängsten zu verlieren – wie wichtig das ist, habe ich vor allem im Motorsport gelernt. Bevor ich in einen Rennwagen stieg, musste ich vollkommen da sein. Auch das Visualisieren von bestimmten Szenarien oder persönlichen Zielen hilft, gegenwärtig und zentriert zu bleiben. Und der Glaube an dich selbst ist extrem wichtig.

prisma: Harry ist von New York nach Maine gezogen, um dort vom Ozean inspiriert seinen Roman zu schreiben. Haben Sie auch so einen Ort, an dem Sie abschalten und auftanken können?

Dempsey: Ja – und zwar ebenfalls in Maine! Ich bin ja dort geboren und habe dort ein Haus am Meer, wo ich mich zurückziehen kann. Einmal im Monat fahre ich eine Woche lang dorthin, um meine Batterien aufzuladen. Die Natur ist meine Kirche! Sie ist mein Zufluchtsort, um mich zu zentrieren. Ich finde in Maine eine Menge aufbauende Energie. Dort sind meine Wurzeln. Dort kann ich mich erden. Und ich erinnere mich immer daran, wo ich herkomme, mache mir bewusst, wo ich gerade stehe im Leben und überlege, wohin die nächste Reise gehen soll.

prisma: War das schon immer so, dass Sie sich diese Zeit zum Auftanken nehmen konnten oder haben Sie bewusst einen Wandel herbeigeführt?

Dempsey: Früher fühlte ich mich, als würde die Flut mich mitreißen, und ich musste versuchen, irgendwie meinen Kopf über Wasser zu halten. Ich wusste, als ich noch bei "Grey's Anatomy" war, und zehn Monate pro Jahr drehte, dass ich eine bessere Balance finden muss. Es blieb keine Zeit für das Privatleben oder irgendetwas anderes. Ich ging damals so weit ich konnte, so lange es irgendwie ging. Aber irgendwann konnte ich so nicht mehr weitermachen. Es gab auch nichts mehr Neues zu entdecken dort. Es war an der Zeit für einen Wandel.

prisma: Dann fiel Ihnen der Schlussstrich nicht schwer?

Dempsey: Doch, große Veränderungen fallen nie leicht! Es war angsteinflößend. "Grey's Anatomy' war großartig und eine feste Konstante. Aber es war an der Zeit, zu gehen – das spürte ich tief in mir drin. Das Leben darf nicht nur aus Arbeit und Verpflichtung bestehen. Du musst in der Lage sein, dein Leben zu leben.

prisma: Was bedeutet das für Sie?

Dempsey: Leben bedeutet nicht: im Hamsterrad zu rennen und möglichst viel Geld zu verdienen. Ich genieße die Zeit mit meinen Kindern und meiner Frau so sehr. Ich arbeite nur noch an einem Projekt pro Jahr, wenn möglich. So ist alles rund und ausbalanciert, und ich habe Zeit zum Atmen. Und so kann ich die Dinge, die ich mache, zu 100 Prozent tun und Momente genießen, anstatt einfach so durchzurauschen. Ich bin jetzt viel ausgeglichener und glücklicher.

prisma: Wie wichtig ist Gemeinschaft?

Dempsey: Sehr wichtig. Wir müssen einander helfen, aber auch akzeptieren, so wie wir sind. Uns Freiräume lassen. Das Problem in Großstädten wie New York ist nur: Es gibt keinen Platz. Die Menschen müssen sich verzweifelt jedes kleine bisschen Raum erkämpfen. Andere Personen samt ihren Energien sind ständig in deinem persönlichen Bereich – ein dauerhaftes Bombardement. Ich fühle mich in New York wie in einem Boxring, in dem jeder versucht, sein Revier zu verteidigen. Mir ist das zu viel, deshalb verbringe ich auch nur maximal einen Tag in New York City. Es fühlt sich ungesund an, von diesen Energien überwältigt zu werden. Aber in Großstädten hast du keine Möglichkeit, dich ihnen zu entziehen. In der Natur hingegen schon.

prisma: Wie wichtig ist Zeit alleine?

Dempsey: Sehr! Nur so kannst du in dich hinein und auf deine innere Stimme hören. Sie verrät dir, was im Leben wichtig ist. In der Stille erfährst du auch, wer du wirklich bist.

prisma: Glauben Sie daran, dass jeder einen höheren Sinn beziehungsweise eine Aufgabe hier im Leben hat?

Dempsey: Ja, selbstverständlich. Und jeder Mensch sollte sich täglich fragen: Was ist heute meine Aufgabe, warum bin ich hier auf dieser Erde?

prisma: Welches ist Ihre Aufgabe?

Dempsey: Eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt, ist mein Zentrum für Krebspatienten in der Stadt in Maine, in der ich aufgewachsen bin. Nicht nur dort habe ich gelernt: Altruismus ist der Schlüssel zu einem sinnvollen, glücklichen Leben. Es geht darum: Was tust du für andere Menschen? Wenn du kollektiv zusammenarbeitest, hat dein Leben und das der anderen so viel mehr Sinn und Freude. Anderen zu helfen und Dinge zu teilen, Ziele gemeinsam zu erreichen, darum geht's doch letztendlich!

prisma: In der Serie, die Maine als Schauplatz hat, steht auf dem Ortsschild: "Maine – The way life should be". Was machen die Menschen in Maine "richtig"? Wie sollte das Leben sein?

Dempsey: Die dortige Naturverbundenheit: das Rausgehen an die frische Luft, das Wandern, Spazierengehen, Skifahren ... – Ich denke, dass das der Weg ist, wie das Leben gelebt werden sollte: im Einklang mit der Natur.

prisma: Und öfter mal offline sein?

Dempsey: Genau: Es zieht mich so oft wie möglich hin zur Natur und weg von moderner Technik. Mach dich nicht abhängig von deinem Handy. Die Medien sind gut, um informiert und mit Menschen weltweit in Kontakt zu bleiben, aber man muss nicht immer erreichbar sein. In dem Moment, in dem du die Verbindung zum Internet ausschaltest, knipst du die Verbindung zu dir selbst sowie den Menschen, Tieren und Pflanzen um dich herum an.

(Alle Episoden von "Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert" bei TVNOW: www.tvnow.de).


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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