Krimi im Ersten

"Tatort" Luzern: Auf den festen Pfeilern von Vorurteilen

12.03.2016, 07.30 Uhr
von Detlef Hartlap
Nach einem Tod mit Fahrflucht ermitteln Flückiger (Stefan Gubser) und Ritchard (Delia Mayer) im Eliteinternat des Opfers.
BILDERGALERIE
Nach einem Tod mit Fahrflucht ermitteln Flückiger (Stefan Gubser) und Ritchard (Delia Mayer) im Eliteinternat des Opfers.  Fotoquelle: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler

Die Luzerner Ermittlerin Liz Ritschard ist, so hatte es in früheren Folgen den Anschein, eine Gelegenheitslesbe. Sie hat keine feste Beziehung, kein erkennbar außerberufliches Interesse an anderen Frauen, wie sie das Thema Liebe überhaupt nur mit jenem nachsichtigen Lächeln begleitet, das sie in beinahe jeder Situation auszeichnet. Doch wenn ihr die Dinge beruflich über den Kopf wachsen, dann sucht sie ihn – den schnellen Sex.

Da ist was im Schwange

Diesmal, beim Tatort "Kleine Prinzen", hat Liz Ritschard Lippenstift aufgetragen und sieht für einmal auch sonst nicht so aus, als käme sie gerade aus der Bahnhofskneipe. Man möchte fast meinen, da sei was im Schwange.  Ist es aber nicht.

Dafür harrt der sonst so strebsame Kollege Reto Flückiger (Stefan Gubser) einen Moment länger als nötig im Dienstwagen aus, um noch lächelnd einen Blick auf sein Handy zu werfen. Während der Autofahrt streicht er sich ordnend durchs verstrubbelte Haar. Kein Zweifel, da ist wirklich was im Schwange.

Und dann kommt es zu einem dieser Dialoge, für die man ganze Teile des Tatort-Wesens, nicht nur die Schweizer, in die Tonne hauen möchte. "Du", sagt Reto zu Liz, "du kennst dich doch, na ja, bei Frauen aus. Kannst du mir nicht mal einen Rat geben …?"

Liz lächelt ihr Lächeln, belustigt, freundschaftlich. Wenig später sieht man Flückiger, wie er sich in der Beengtheit seines Hausbootes fein macht, blaues Hemd, Schlips, noch schnell ein Glas Apéro.

Schaden gehabt

Mit wem und wie das Rendezvous vonstattengeht, erfährt man freilich nicht. Es muss ja auch ermittelt werden. Ein Verkehrsunfall auf nächtlicher Straße mit Todesfolge. Es hat, um es auf Schwyzerdütsch zu sagen, "Schade cha", Schaden gehabt.

Bei der Geschädigten handelt es sich um ein ausnehmend hübsches Menschenkind namens Ava Fleury (Ella Rumpf), Zögling eines Internats, das nicht für die Armen dieser Erde eingerichtet wurde. Den ersten Eindruck vom Unfall mit Fahrerflucht relativiert Flückiger mit der Beobachtung: "Sie trägt ihr Kleid auf Links."

Aus dieser Ausgangslage ließen sich jede Menge Funken schlagen, man freut sich tatsächlich auf eine Ermittlung, welche die noble Fassade des Internats bröckeln lässt und in eine ungute Gemengelage von Reichtum und Sex mit zu jungen Frauen vorstößt. Die schöne Ava, stellt sich bald heraus, ist erschlagen und auf der Straße abgelegt worden.

Doch das Internat spielt nur das ewige Klischee von Diskretion und gutem Ruf. In etlichen "Inspector Barnaby"- und "Inspector Linley"-Folgen ist das Aufeinanderprallen von aristokratischem Internatsgetue und dem polizeilichen Primat der Ermittlungen sehr viel härter und zugleich witziger durchgespielt worden als in den einfallslosen Stellungsspielchen dieser Tatort-Folge. Das Internat, das die Keimzelle aller Verwerfungen darstellen soll, ist auf den festen Pfeilern von Vorurteilen gebaut.

"Es bitzeli"

Es wird Rauschgift gekocht, im Internat, aber nur "es bitzeli", ein bisschen. Es werden arabische Prinzen vor der Polizei abgeschirmt, aber nur "es bitzeli",  es werden diplomatische Verwicklungen angedeutet, aber nur "es bitzeli". Es wird um das Vorrecht der Luzerner Ermittlungen gegenüber dem Eingreifen der Berner Bundespolizei gerungen, aber auch das nur ein bisschen.

In "Kleine Prinzen" gibt es von allem ein wenig. Wie ein Frühstück, das nur aus Müsli besteht, halbe Portion.

Dass der Fall in mehr als groben Zügen jenen Ereignissen von 2008 nachempfunden ist, bei denen ein Sohn des libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi in einem Genfer Hotel wütete und wohl auch gegenüber Frauen handgreiflich wurde, macht die Sache gewiss nicht origineller. Damals versuchte Gaddafi, die Sache abzuwürgen, indem er Schweizer Geschäftsleute in Tripolis festsetzt, kurz, er erpresste die Schweiz, die Ermittlungen gegen seinen Sohn umgehend einzustellen. Was ihm gelang. Der Rechtsstaat Schweiz knickte ein.

Im Film, noch dazu in dem märchenhaften Volkstheater, das "Tatort" heißt, lassen sich die tatsächlichen Geschehnisse zum Besseren korrigieren. Zumindest ein bisschen.

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