Neue Netflix-Serie

"Wir sind die Welle": Erwachsenwerden in einer Jugendbewegung

von Julian Weinberger

Der Roman "Die Welle" wurde schon häufiger adaptiert. Nun setzt auch eine neue Netflix-Serie den Stoff um, entfernt sich dabei aber weit vom Original. Die Gesellschaftskritik bleibt deshalb ein wenig auf der Strecke.

Die Jugend ist derzeit politisch wie lange nicht. Inspiriert von Greta Thunberg hat sich die "Fridays for Future"-Bewegung längst um die ganze Welt verbreitet und prangert den fehlerhaften Umgang der Politik mit dem Klimawandel an. Ähnliche Ziele, wenngleich mit anderen Mitteln, verfolgt die Gruppierung Extinction Rebellion, die statt auf geordnete Demonstrationen auf Aktionen zivilen Ungehorsams setzt. In den vergangenen Monaten haben ihre Mitglieder Flüsse eingefärbt oder den öffentlichen Nahverkehr in Metropolen wie London lahmgelegt. Wie sich eine solche Bewegung aus dem Kleinen heraus entwickeln kann, zeigt ab 1. November die Netflix-Serie "Wir sind die Welle", die sich lose an Morton Rhues Romanklassiker "Die Welle" orientiert.

Abgehalfterte Schuhe, schmuddelige Jogginghosen und die Kapuze seines Sweaters tief ins Gesicht gezogen – Tristan (Ludwig Simon) sticht schon an seinem ersten Tag an der neuen Schule heraus. Nicht nur sein Äußeres hebt sich von seinen Mitschülern ab. Der Neue nimmt kein Blatt vor den Mund, schreckt nicht zurück vor dem Nazi-Nachwuchs, der ausländisch stämmige Mitschüler wie Rahim (Mohamed Issa) drangsaliert. So bildet sich um den charismatischen Tristan schnell eine Gruppe von ehemaligen Außenseitern, etwa der schüchterne Hagen (Daniel Friedl) oder Zazie (Grimme-Preisträgerin Michelle Barthel), die wegen ihrer psychisch kranken Mutter als Freak abgestempelt wird.

Nicht so recht ins Bild passen will dagegen Lea ("Der Club der roten Bänder"-Star Luise Befort). Mit ihrem E-Roller, den teuren Designerfummeln und Smoothies zum Frühstück entspricht sie anfangs dem wandelnden Klischee des verwöhnten Einzelkinds. Je mehr sie jedoch mit dem furchtlosen Tristan in Berührung kommt, umso konsequenter legt sie ihre bürgerliche Fassade ab. In einer abgeranzten Fabrik am Rande der Stadt errichten die Jugendlichen ihre Basis, von wo aus sie Protestaktionen planen – "Die Welle" ist geboren.

Aus der Welle wird ein Mob

Fast wie an einer Checkliste arbeitet sich "Wir sind die Welle" an den Kontroversen der Gegenwart ab. Die selbsternannten Rebellen setzen sich gegen Kleidungsverschwendung ein, protestieren gegen Tierquälerei und engagieren sich gegen Plastikmüll. Berauscht von ersten Erfolgen und der Anerkennung im Netz reicht es den Jugendlichen aber schon bald nicht mehr aus, Plakatwände mit Graffitiparolen zu verunstalten. Immer größer, immer riskanter, immer aufmerksamkeitsheischender werden die Proteste der Welle.

Sind sich Lea, Tristan, Hagen, Zazie und Rahim anfangs noch einig über die Ziele ihrer Bewegung, brechen sich innerhalb der Gruppe zusehends Konflikte über Anführerschaft und künftige Aktionen Bahn. Als Lea eigenmächtig beschließt, die Welle auch für andere wütende Jugendliche zu öffnen, zieht sie nicht nur den Zorn ihrer Mitstreiter auf sich. Aus dem vormalig koordinierten Aufstand wird ein unkontrollierbarer Mob, der wütend einen Schlachthof überfällt. Was folgt, sind Chaos, Verwüstung und Verhaftungen.

Wer sich erhofft, "Wir sind die Welle" sei ein Remake des Erfolgsfilms "Die Welle" (2008) in Serienlänge, wird sich verwundert die Augen reiben. Statt des Experiments eines Lehrers zum Thema Faschismus, einst grandios verkörpert von Jürgen Vogel, ist die Welle in der Netflix-Produktion eine antikapitalistische Jugendbewegung. Wie bereits beschrieben, hangelt sich die Serie an aktuellen Problemen entlang, erreicht allerdings nicht die Intensität und den aufrüttelnden Charakter der Film- respektive Buchvorlagen.

Verwässert wird die Handlung vor allen Dingen durch die vielen kleinen Nebengeschichten, die das Erwachsenwerden der Hauptcharaktere beschreibt. Auch wenn die Konflikte rund um Anerkennung und junge Liebe glaubwürdig dargestellt werden, hätte man sich von "Wir sind die Welle" etwas mehr Gesellschaftskritik und weniger Coming of Age gewünscht.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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