Mit Julia Garner und Hugo Weaving

Wenn aus einem Traum ein Albtraum wird – Kritik zum Thriller „The Royal Hotel“

08.01.2024, 12.45 Uhr
von Gregor-José Moser
In "The Royal Hotel" wollen die Backpackerinnen Hanna und Liv in Australien etwas Geld verdienen und kellnern dafür in einer Bar.
In "The Royal Hotel" wollen die Backpackerinnen Hanna und Liv in Australien etwas Geld verdienen und kellnern dafür in einer Bar.  Fotoquelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Uncredited

Selbst für viele Filmfans unter dem Radar startet diesen Januar ein sehenswerter Thriller der Regisseurin Kitty Green („The Assistant“). In „The Royal Hotel“ trifft clevere Kritik am Patriarchat auf eine in jeder Hinsicht gelungene Umsetzung.

Inhaltswarnung: In dieser Filmkritik geht es um sexualisierte Gewalt.

Eine Reise mit ungeahntem Verlauf

„The Royal Hotel“: Ein Titel, der leicht in die Irre führen kann. Was eher klingt wie ein historisches Kostümdrama à la „Downton Abbey“ oder „The Crown“, ist in Wahrheit ein sozialkritischer Thriller über patriarchale Machtstrukturen. Hanna (Julia Garner) und Liv (Jessica Henwick), zwei junge US-Amerikanerinnen, reisen als Rucksacktouristinnen um die Welt. Als ihnen das Geld ausgeht, nehmen sie ein Jobangebot in einer Bar in Australien mit dem Namen „The Royal Hotel“ an. Nach der anfänglichen Vorfreude versetzt ihnen die karge und trockene Landschaft des australischen Hinterlands (Outback) einen ordentlichen Dämpfer. So hatten sich Hanna und Liv ihren Aufenthalt in Australien nicht vorgestellt.

Als noch deutlich schlimmer erweist sich der Job im „The Royal Hotel“, das vom grobschlächtigen und dauerbetrunkenen Billy (Hugo Weaving) geführt wird. Von einem ähnlichen Schlag sind die Gäste – fast ausschließlich Männer –, die in der Bar ein und aus gehen. Trotz ihrer Enttäuschung versuchen Hanna und Liv das Beste aus ihrer Situation zu machen. Gleichzeitig müssen sie sich jedoch den Annäherungsversuchen der Gäste erwehren, die mit fortschreitender Zeit immer aufdringlicher werden.

Der reale, alltägliche Horror

Regisseurin Kitty Green hält in „The Royal Hotel“ unserer patriarchalen Gesellschaftsordnung schonungslos den Spiegel vor. In seiner Umsetzung mutet der Thriller dabei immer wieder wie ein Horrorfilm an. Wenn Hanna etwa eines Nachts entsetzt beobachten muss, wie sich auf dem Flur ein betrunkener Gast mit schleppenden Schritten auf ihr Zimmer zubewegt, könnte das gefühlt auch aus „The Walking Dead“ oder anderen Zombieserien und -filmen stammen. Szenen wie diese sind auch deswegen so wirkungsvoll, weil die schauspielerischen Leistungen auf ganzer Linie überzeugen. Das gilt vor allem für Julia Garner, die für uns Zuschauende als emotionaler Anker fungiert. Ihr Charakter ist hin- und hergerissen zwischen beinahe schon lähmender Furcht und dem Wissen, dass sie Stärke zeigen muss – nicht nur für ihren eigenen Schutz, sondern auch für ihre Freundin Liv.

Die Gäste der Bar sind in ihrem Verhalten gegenüber den beiden Frauen grenzüberschreitend und plump. Glücklicherweise ist das Drehbuch hingegen kein bisschen plump, sondern überaus clever. Kitty Green zeigt in ihrer Geschichte auf, welche Bedrohung von Männern im Patriarchat ausgeht. Eine Bedrohung, die wegen ihrer langen Geschichte und Allgegenwart zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist – und die deshalb viel zu oft stillschweigend hingenommen wird. Jede Frau kann von unzähligen Vorfällen von Belästigung oder noch Schlimmerem berichten. Gleichzeitig will kein Mann so etwas schonmal getan haben oder andere Männer kennen, die es haben. Eine Rechnung, die nicht aufgeht.

Die Frau in Nöten und der ach so strahlende Held

In ihrem Film entlarvt Kitty Green, welches vorherrschende Bild viele Männer von Frauen haben: Sie sehen sie als Beute an, die es zu erobern gilt – Besitzdenken gepaart mit einer Dauersexualisierung weiblich gelesener Körper. Kitty Green beweist zudem einen feinen Blick für die Vorgehensweise solcher Männer. So benutzt eine der männlichen Figuren seinen Alkoholkonsum als Ausrede dafür, warum er Hanna am Vorabend zum Sex drängen wollte. Das mehrfach wiederholte und unmissverständliche Nein Hannas wollte er partout nicht akzeptieren. Dieselbe sowie andere Figuren versuchen außerdem immer wieder Situationen zu schaffen, in denen sie den Frauen näherkommen können. Sie suchen aktiv nach Vorwänden, warum sie etwa die Nacht bei ihnen verbringen müssen. Oder sie laden sie zu Unternehmungen ein, wobei sie eigentlich nur das eine im Sinn haben.

Der strahlende Held, der die Frau vor allem Bösen beschützt: Ein Motiv, das bis heute in der Popkultur viel Einfluss genießt. Dieses Beschützerdenken ist eigentlich viel mehr das eben angesprochene Besitzdenken. „Sie gehört nicht dir, sondern mir“, sagen die Taten des Helden aus. Seinen selbst konstruierten Besitzanspruch verteidigt er natürlich mit Gewalt. In einem furiosen Finale demaskiert Kitty Green genau diesen angeblichen Heldentypen. Das ist auch ein Seitenhieb an jene Filmschaffende, die bis heute sklavisch an klassischen Geschlechterrollen festhalten.

Warum gerade Männer „The Royal Hotel“ sehen sollten

Wer bei den Themen Feminismus, Patriarchat und Geschlechterrollen genervt die Augen rollt, der sollte erst recht „The Royal Hotel“ eine Chance geben. Es ist nur allzu leicht als Mann solche Themen mit einer bequemen Distanz zu betrachten. Schließlich lassen sich nur so die berechtigten Klagen von Frauen als übertrieben herunterspielen. „The Royal Hotel“ bietet einen wertvollen Perspektivwechsel für jene Männer, die sonst Schwierigkeiten haben sich in die Lage von Frauen hineinzuversetzen. Die teils horrorartige Inszenierung macht die Erlebnisse von Hanna und Liv – die stellvertretend für die der meisten Frauen stehen – nur noch beklemmender und eindringlicher, und damit womöglich verständlicher.

„The Royal Hotel“ läuft ab dem 11. Januar 2024 in den deutschen Kinos.

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