"Die Quellen des Bösen"-Star im Interview

Fahri Yardim philosophiert über das Böse: "Wäre ich KZ-Wächter geworden, wenn ich früher gelebt hätte?"

03.11.2023, 12.19 Uhr
von Eric Leimann

"Wir alle könnten Mörder werden" ist Fahri Yardim überzeugt. Im Interview spricht der Star aus der düsteren Thrillerserie "Die Quellen des Bösen" über Trauer, Verletzlichkeit und das Böse in der Welt. 

Wer sich mit Fahri Yardim unterhält, hat schnell das Gefühl, man würde sich schon lange kennen. Der 43-jährige Hamburger mit türkischen Wurzeln bringt eine große Lockerheit, Energie und Intensität mit ins Gespräch. Eigenschaften, von denen auch sein Schauspiel lebt: Der Mann hat Energie, Präsenz und Komik – weshalb man ihn bislang vorwiegend für lustige Formate ("Jerks") oder als Comic-Relief-Figur in ernsteren Zusammenhängen (der "Tatort" mit Til Schweiger) feierte. Mit der sechsteiligen Thrillerserie "Die Quellen des Bösen" (Freitag, 13. Oktober) bei RTL+ betritt Fahri Yardim nun quasi Neuland. Seine Rolle ist ernst, ja fast still und spröde. Was zur Umgebung passt, denn die Serie spielt in der tristen ostdeutschen Provinz des Jahres 1993, wohin Yardims Figur als Ermittler aus Hamburg anreist. Im Interview erzählt der Schauspieler von Trauer und Verletzlichkeit, die ihn auch ausmachen, und er denkt darüber nach, wie das Böse tatsächlich in die Welt kam.

prisma: Wie weit oben im persönlichen Maske- und Kostüm-Ranking ist Ihr Frühneunziger-Look in dieser Serie?

Fahri Yardim: Weit, weit oben! Diese pumpelige Hose hat sich übrigens viel besser angefühlt, als sie auf dem Bildschirm aussieht. Eigentlich waren die sackigen Dinger damals echt bequem. Hosenmäßig ist das ganz klar eine Top drei. Eine Hose ist allerdings schnell an- oder ausgezogen. Schnauzer und "Vokuhila" haben mich dagegen nachhaltiger geprägt. Wobei ich zugeben muss, der "Voku" war ein Haarteil. Das musste ich abends immer abmachen. Der Rudi-Völler-Lionel-Richie-Schnäuzer war aber echt. Den habe ich eigentlich genossen. Man gewöhnt sich an mehr als man denkt.

prisma: Sie sind 1980 in Wandsbek geboren und in Harburg, im migrantisch geprägten Süden Hamburgs, groß geworden. Deshalb waren Sie wohl zu jung, um 1993 tatsächlich mal so ausgesehen zu haben ...

Yardim: Nein, mit 13 noch nicht. Damals hatten nur die 15-jährigen Jungs von Türkiyemspor diesen Look. Die sahen in meiner Erinnerung nämlich aus, als wären sie schon 38 (lacht).

"Man kann behaupten, ich bin ein Thriller-Junkie"

prisma: Die meisten Leute kennen Sie von heiteren Rollen. In "Die Quellen des Bösen" gibt es aber rein gar nichts zu lachen. Haben Sie überhaupt schon mal in einem so düsteren Krimi gespielt?

Yardim: Ich habe schon ernste Rollen gespielt. Aber ich kann mich tatsächlich nicht daran erinnern, dass mal ein so düsterer Krimistoff dabei war. Es war auch ein Grund, die Serie zu machen. Privat sehe ich sehr gerne Thriller. Man kann behaupten, ich bin ein Thriller-Junkie. "Sieben" von David Fincher war einer der prägendsten Filme meiner Jugend.

prisma: Aber waren Sie überrascht, dass man Sie für die Rolle des Ermittlers angefragt hat? Schließlich erwartet man bei Ihnen eher, dass gleich etwas zum Lachen passiert ...

Yardim: Ich habe nicht überrascht nachgefragt, warum sie mich für die Rolle haben wollten. Ich bin froh, dass man mir das ernste Fach zutraut. Ich behaupte, auch den stillen Anteil in mir zu tragen. Das Unterschwellige zuzulassen, tut mir als Schauspieler auf jeden Fall gut, habe ich gemerkt.

prisma: Also drängt es Sie ins ernste Fach – von nun an?

Yardim: Nein, dazu ist mir Humor in der Arbeit und im Leben viel zu wichtig. Es ist für mich immer noch die Königsdisziplin. Humor im Film misslingt zu oft, auch da, wo sich Leute damit viel Mühe geben. Die zurückhaltende Kraft der Figur hat durchaus Freude bereitet, aber nach vier Monaten Zurückhaltung wuchs auch die Lust, wieder laut zu werden.

"Man erfährt die schönste Liebe, die es gibt ..."

prisma: Was genau wird größer in Ihnen, wenn der Humor oder auch das Ausschweifende ganz klein ist?

Yardim: Das Melancholische tritt mehr in den Vordergrund. Ich kenne beides von mir selbst: die Ernsthaftigkeit, auch das Traurige. Ist vielleicht öffentlich noch nicht so bekannt, privat dafür umso deutlicher. Ich sehne mich stark nach Kontrasten. Wenn ich lange im Drama gefangen bin, wächst die Dringlichkeit nach etwas Extrovertiertem. Humor als Wachablösung. Es zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben: Bei jeder Einlassung wartet schon das Bedürfnis nach einem Knacks, wartet das Kontrastprogramm.

prisma: Sie haben zwei kleine Kinder. Viele Menschen, die Eltern geworden sind, sagen, dass sie danach fiktionale Stoffe, in denen es um das Leid von Kindern geht, nicht mehr ertragen. Wer schwer fällt es Ihnen?

Yardim: Geht mir nicht so. Weil das Filmen solche drastischer Szenen letztendlich ein sehr technischer Prozess ist. Film ist ein sehr fragmentiertes Handwerk. Man dreht eine kleine Szene, dann ist Pause, Umbau, Location-Wechsel und dann kommt wieder eine kleine Szene. Die Arbeitsweise entzieht der Situation meistens die Wirklichkeit. Solche Stoffe gehen einem erst an die Nieren, wenn sie als fertiges Produkt erlebt werden. Die Herstellung ist zu kleinteilig, als dass ich – im Film generell – über einen Stoff persönlich abstürzen könnte.

prisma: Sind Sie thematisch auch als Zuschauer hartgesotten?

Yardim: Ich bin, was Filme betrifft, emotional betrachtet oft ein wenig betriebsblind. Beim Betrachten denke ich darüber nach, wie es entstanden ist. Es sei denn, es ist ein gutes Werk. Abseits vom Film habe ich aber gemerkt, dass eine Verletzlichkeit, die durch die eigenen Kinder in mein Leben gekommen ist, massiv zugenommen hat. Es wächst das Bewusstsein für das, was an Abgründigem möglich ist. Die Fallhöhe für das grösstmögliche Unglück als Vater oder Mutter ist gestiegen. Man erfährt die schönste Liebe, die es gibt – gleichzeitig verbindet es einen mit der größten Angst. Es ist diese Gleichzeitigkeit von größtmöglicher Liebe und Angst, die mich als Vater immer noch überrascht.

"Wir alle könnten Mörder werden"

prisma: Umso erstaunlicher ist, dass Sie sich für eine Filmrolle – für die Sie ja auch in der Vorbereitung psychologisch in eine Figur eindringen müssen – davon freimachen können?

Yardim: Ich glaube, bei dieser Serie hatte ich diesbezüglich Scheuklappen auf. Wenn du über dein Mitleid zerfließt, wird das Spiel unmöglich. Darüber hinaus passt es aber eben auch zur Figur des Ermittlers. Er hat eine professionelle Distanz zu so etwas Verstörendem wie Mord, Missbrauch und Gewalt. Ich denke, man kann solche Jobs nur ausüben, wenn man es schafft, das Berührtsein zu maßregeln.

prisma: Ihre Serie spielt schon im Titel mit der Möglichkeit, die Frage nach "dem Bösen" zu beantworten. Warum sind wir so fasziniert davon?

Yardim: Gibt es sowas wie das grundlos Böse überhaupt? Auch wenn wir uns nach Eindeutigkeiten sehnen und die Religionen mit starren Orientierungsversuchen dienen: Hier sind die Guten, da die Bösen. Hier die Opfer, dort die Täter. Es scheint so, als wäre die Sache unerträglich komplexer. Wir alle könnten Mörder werden. Je älter ich werde, desto mehr stimmt der Satz: "Nichts Menschliches ist mir fremd".

prisma: Wie meinen Sie das?

Yardim: Wie "böse" könnte ich sein? Wäre ich KZ-Wächter geworden, wenn ich früher gelebt hätte? Es ist unangenehm, aber durchaus wichtig, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen und nicht vorschnell zu urteilen. Unsere Serie erzählt ja indirekt auch von einer Diktatur, einem System der Unterdrückung. Die DDR ist 1993 gerade mal ein paar wenige Jahre Geschichte. Stabilität bricht weg. Und auf einmal stehen wir da mit den Unterdrückten, fühlen das Bodenlose und sehen in den Abgrund. Wir verstehen es nicht, aber wir suchen nach der Ursache. Ich glaube, mich interessiert an der Serie genau das.

"Ich würde es vermissen, mit Til zu drehen. Wir waren ein wunderbares Paar!"

prisma: Sie meinen also, dass das Böse, das man erlebt hat, immer ein Stück weit in einem selbst fortlebt?

Yardim: Dass wir reproduzieren, was uns sozialisiert. Wir sollten dem Unbewussten auf die Schliche kommen, statt das Böse zu personifizieren!

prisma: Vor einigen Wochen wurde vom NDR verkündet, dass der "Tatort" mit Til Schweiger nicht fortgeführt wird. Sie waren der Ko-Star dieser Reihe. Waren Sie enttäuscht von der Nachricht?

Yardim: Ich habe immer nur gelesen, dass man mit Til Schweiger keinen weiteren "Tatort" drehen möchte, aber nicht, dass ich ebenfalls damit gemeint bin. Ich kann dazu nichts sagen oder verraten, aber ich liebe gerade diesen Schwebezustand, dass man eben nichts Genaues weiß. In meiner Vita oder meinem Steckbrief steht immer noch: "Tatort"-Kommissar Fahri Yardim. Das amüsiert mich, weil die Frage ist: Wie lange ist man eigentlich Kommissar, ohne einen Fall gelöst zu haben?

prisma: Ihre Theorie klingt spannend. Gab es aus Ihrer Sicht Irritationen oder Unstimmigkeiten rund um das Projekt "Tatort"?

Yardim: Nein, ich bin mit dem NDR völlig im Reinen. Ob es noch mal einen "Tatort" mit Fahri Yardim gibt, weiß ich nicht. Aber ich würde es vermissen, mit Til zu drehen. Ich habe diese Reise mit ihm sehr genossen. Wir waren ein wunderbares Paar!


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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