WELT-Chefreporter im Interview

TV-Reporter Steffen Schwarzkopf dachte er sei "abgehärtet": "Doch dieser Krieg ist anders"

21.02.2023, 12.55 Uhr
von Frank Rauscher

Steffen Schwarzkopf hat als Kriegsreporter schon vieles gesehen, doch die Ereignisse in der Ukraine haben den erfahrenen Journalisten erschüttert. Der WELT-Chefreporter hat im Interview mit prisma darüber gesprochen, was es für die Berichterstattenden bedeutet, mitten im Krieg eingesetzt zu werden und wie sein Eindruck von der Lage ist. "Ich glaubte, eigentlich alles mitgemacht zu haben und abgehärtet zu sein. Doch dieser Krieg ist anders", berichtet Steffen Schwarzkopf.

Ein Jahr Krieg in der Ukraine – das hat so vieles verändert, und auch mit den vor Ort eingesetzten Korrespondenten macht das ständige Arbeiten unter Hochdruck und teils akuter Lebensgefahr nichts Gutes. "Früher kam ich von Reporterreisen nach Hause zurück und konnte den Schalter sofort umlegen. Das gelingt mir nicht mehr", sagt Steffen Schwarzkopf. Der WELT-Chefreporter ist dennoch immer wieder für mehrere Wochen in den Kriegsgebieten im Einsatz, denn, so bringt es der 49-Jährige nun im Interview auf den Punkt: "Ich will verlässliche Informationen liefern." Es gehe ihm darum, zu "zeigen, was in der Ukraine passiert und was dieser Krieg für die Bevölkerung bedeutet". Natürlich seien die Ukrainer "kriegsmüde", weiß Schwarzkopf. Aber dies sei "nicht gleichbedeutend mit der Bereitschaft, aufzugeben". Er habe seit Kriegsbeginn noch nie den Satz gehört: "Lasst uns kapitulieren." Eines sei allerdings auffällig, betont Schwarzkopf: "Die Menschen sind abgestumpft."

prisma: Herr Schwarzkopf, Sie sind seit einem Jahr immer wieder in den Kriegsgebieten in der Ukraine im Einsatz. Auch wenn Sie als Reporter schon einiges erlebt haben: Was haben diese zwölf Monate mit Ihnen gemacht?

Steffen Schwarzkopf: Ich mache meinen Job inzwischen seit weit mehr als 20 Jahren. In der Zeit habe ich über den Kosovokrieg, aus Afghanistan und dem Irak berichtet. Ich war bei der Arabischen Revolution in Tunesien und Ägypten vor Ort, habe die libyschen Rebellen bei ihrem Vormarsch nach Tripolis begleitet, habe das Blutvergießen in Syrien erlebt. Ich glaubte, eigentlich alles mitgemacht zu haben und abgehärtet zu sein. Doch dieser Krieg ist anders. Hier sind es Hunderttausende Verletzte und Tote, ganze Städte werden ausradiert. Nirgendwo sind die Menschen sicher vor Raketenbeschuss – und das gilt auch für uns Reporter. Für alle, die aus der Ukraine berichten.

prisma: Was heißt das konkret?

Schwarzopf: Wir arbeiten hier vier, fünf, sechs Wochen unter dauerhafter Anspannung und – wenn man ehrlich ist – auch unter Lebensgefahr. Früher kam ich von Reporterreisen nach Hause zurück und konnte den Schalter sofort umlegen. Das gelingt mir nicht mehr. Zumal meinen Reporterkollegen und mir klar ist: Der nächste Einsatz folgt in wenigen Wochen.

"Dabei unterlief uns ein Fehler, der eigentlich nicht passieren sollte ..."

prisma: Gab es Situationen im Frontgebiet, in denen Sie es konkret mit der Angst bekommen hatten?

Schwarzkopf: Ganz ehrlich: Jedes Mal ist Angst dabei, wenn du im unmittelbaren Frontgebiet unterwegs bist. Und das ist auch gut so, weil man sonst schnell nachlässig wird. Wir haben ukrainische Haubitzen- und Raketenwerfereinheiten begleitet, waren in Schützengräben mit Soldaten. Im Spätherbst waren wir einmal mehr in der schwer umkämpften Frontstadt Bachmut und drehten in einem Militärkrankenhaus. Dutzenden Schwerverletzten versuchten die Ärzte dort das Leben zu retten. Am späten Nachmittag kam die Anfrage aus der Redaktion, ob wir noch eine Liveschalte machen könnten. Dabei unterlief uns ein Fehler, der eigentlich nicht passieren sollte ...

prisma: Was ist geschehen?

Schwarzkopf: In Vorbereitung auf die Schalte waren wir zu lang am selben Ort – im Freien, mehr oder minder ungeschützt. Ich weiß nicht, ob uns die Russen geortet oder prorussische Anwohner unsere Position durchgegeben haben, aber kurz bevor wir on air waren, schlug ein Geschoss ganz in der Nähe ein, während der Schalte ein zweites. Wir hatten Glück: Unser Auto wurde von den Schrapnellen getroffen, wir nicht. Das war so ein Moment, der meinen sonst ziemlich coolen Kameramann Andreas Diehr und mich stark mitgenommen hat. Und auch jetzt wieder – im Februar – waren wir in Bachmut. Inzwischen gibt es dort Häuserkämpfe. Wir waren mit einem Militärkaplan unterwegs, der mit den ukrainischen Soldaten an der Front betete. Sie können mir glauben: Die Nacht vor unserem Trip in die Stadt war relativ schlafarm. Vor Ort hat sich dann aber schnell eine gewisse Ruhe eingestellt trotz dauerhafter Angriffe auf die Stadt.

"Dieser Einsatz ist anders als andere zuvor"

prisma: Wie darf man sich den Korrespondentenalltag vor Ort vorstellen – im Hotel, in der Blase mit all den Kolleginnen und Kollegen? Was ist das für eine Atmosphäre?

Schwarzkopf: Ein Beispiel: Letztens war Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius in Kiew. Alles passierte aus Sicherheitsgründen unter größter Geheimhaltung. Wir deutschen Reporter wurden vorher gebrieft, dass er kommt, aber nicht wann genau und welche Programmpunkte er absolviert. Die Kollegin Kavita Sharma von NTV – eigentlich unsere direkte Konkurrenz – und ich haben uns dann morgens um 6 Uhr am Bahnhof von Kiew verabredet, um die ankommenden Züge im Auge zu behalten. Nachdem wir dann tatsächlich zusammen ein Interview mit dem Minister gemacht haben, sind wir in ein Auto gesprungen und waren gemeinsam noch vor dem Eintreffen von Boris Pistorius an seinem nächsten Besuchsort. Auch diese Situation zeigt, dass dieser Einsatz anders ist als andere zuvor. Wir internationalen Reporter sind aber – abgesehen von Kiew – extrem verstreut. Gerade in der Ostukraine kocht jeder so ein bisschen sein eigenes Süppchen. Dieses Bild von Dutzenden Journalisten, die rauchend und trinkend in einem einzigen Hotel zusammenhocken, ist Folklore. Was nicht heißt, dass man keinen Kontakt hält. Das passiert aber meistens per WhatsApp oder Textnachricht.

prisma: Wie planbar ist der Alltag?

Schwarzkopf: Wir planen meistens von Tag zu Tag: Wo liegt der nachrichtliche Fokus, welche Region ist besonders umkämpft? Wir arbeiten die ganze Zeit mit einem ukrainischen Kollegen zusammen, der zum einen natürlich die Sprache spricht, zum anderen auch Kontakte zu Armee-Einheiten herstellen kann. Erst kürzlich haben wir aber auch einen Beitrag der ganz anderen Art gedreht: Über einen Gentlemen's Club in der unter schwerem Beschuss liegenden Stadt Kherson.

prisma: Zwischenzeitlich waren Sie in Washington, immer wieder daheim beim Sender in Berlin und während der WM auch in Katar. – Fällt es Ihnen da nicht unheimlich schwer, stets aufs Neue in den Krieg, also in die Ukraine aufbrechen zu müssen?

Schwarzkopf: Natürlich fällt das schwer, vor allem wegen meiner Familie. Ich habe zwei Kinder, für sie ist es nicht ganz einfach, in Deutschland Fuß zu fassen nach sechseinhalb Jahren in den USA. Wenn ich unterwegs bin, muss meine Frau fast alles alleine zu Hause schultern. Mein Vater ist im Januar verstorben und einen Tag nach der Beerdigung war ich wieder auf dem Weg in die Ukraine. Das ist nicht einfach, wie man sich vorstellen kann. Andererseits ist es wichtig, "Ukraine-Pausen" einzulegen, auch inhaltlich. Dazu gehörte zum Beispiel die Berichterstattung zur WM aus Katar. Bei mir ist es so: Wenn ich vier, fünf Wochen am Stück aus der Ukraine berichte, stellt sich eine gewisse Kopfmüdigkeit ein. Deswegen ist es gut, dass sich unsere WELT-Chefmoderatorin Tatjana Ohm, Reporter Max Hermes und ich uns immer wieder abwechseln.

"Meine Frau Julia ist leidgeprüft"

prisma: Sie haben 2022 ja auch noch geheiratet ... Stehen Sie auf emotionale Achterbahnfahrten?

Schwarzkopf: Nein, eigentlich mag ich das überhaupt nicht. Ich bin happy, wenn Dinge plan- und absehbar sind. Unsere Hochzeit im März 2022 haben wir sogar um eine Woche verschoben, weil ich noch länger in der Ukraine bleiben wollte in den Wochen nach Kriegsbeginn. Aber meine Frau Julia ist leidgeprüft, wir leben ja schon seit 13 Jahren unter einem Dach. Was ich aber ehrlicherweise immer als Reporter gemocht habe, ist das Schnelle. Es passiert etwas auf der Welt, und zwei Stunden später sitze ich im Flugzeug.

prisma: Können Sie benennen, was Sie antreibt?

Schwarzkopf: Mein Anspruch ist es, unser WELT TV-Publikum aus erster Hand zu informieren. Und das nicht als Fünfter oder Sechster, sondern möglichst als Erster. Damit einher geht dann etwas Weiteres: Ich versuche, das, was ich vor Ort sehe, verständlich und eindrücklich darzustellen – auch in Beiträgen für die "WELT am Sonntag" sowie natürlich Schalten und Reportagen für den Sender. Ich will verlässliche Informationen liefern.

prisma: Geht es auch darum, den grassierenden Fehlinformationen und den Narrativen Putins ein Stück Realität entgegenzusetzen?

Schwarzkopf: Ich will zeigen, was in der Ukraine passiert und was dieser Krieg für die Bevölkerung bedeutet. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen, die partout etwas glauben oder nicht glauben wollen, auch nicht von Argumenten und Beweisen zu überzeugen sind. Und daran, so realistisch bin ich, wird auch die Berichterstattung von uns Kriegsreportern nichts ändern.

Die Nähe zu den Menschen in der Ukraine

prisma: Wie begegnen Ihnen die Menschen in der Ukraine?

Schwarzkopf: Hier in der Ukraine sind die Menschen den internationalen Reportern extrem dankbar dafür, dass wir da sind. Erst vor Kurzem hatten wir in der Stadt Krywyj Rih eine Liveschalte. Eine Frau kam danach zu uns und hat meinen Kameramann und mich in den Arm genommen. Ich muss kein Ukrainisch sprechen, um diese Geste zu verstehen.

prisma: Beeindruckt es Sie, dass Sie sich mithin in den sozialen Medien selbst heftigen Gegenwind einhandeln?

Schwarzkopf: Nein, das beeindruckt mich überhaupt nicht, was daran liegt, dass ich die Kommentare in der Regel gar nicht lese. Manchmal "funken" mich aber Zuschauer auch direkt an. Einige haben Fragen, andere haben thematische Anregungen oder weisen mich auf Fehler hin, die mir möglicherweise unterlaufen sind. Über so eine Art von Austausch freue ich mich durchaus.

"Der Tod gehört zum Alltag inzwischen dazu"

prisma: Blicken wir in die Ukraine: Wie hat sich das Land und seine Bewohner in den vergangenen zwölf Monaten verändert?

Schwarzkopf: Natürlich sind die Menschen kriegsmüde. Das ist aber nicht gleichbedeutend mit der Bereitschaft, aufzugeben. Ich habe seit Kriegsbeginn noch nie den Satz gehört: "Lasst uns kapitulieren." – Weder von Soldaten noch von ganz normalen Menschen auf der Straße. Natürlich gibt es hier und da Stimmen, die sagen, dass man über gewisse Gebietsabtretungen an Russland sprechen müsse. Aber das sind wirklich die Ausnahmen. Eines ist aber auffällig: Die Menschen sind abgestumpft. Wenn Luftalarm herrscht, rennt kaum noch jemand in den Bunker oder Keller. Wir waren letztens in der Frontstadt Cherson im Südosten unterwegs. Die Stadt wird jeden einzelnen Tag beschossen, in den vergangenen zweieinhalb Monaten sind mehr als 80 Menschen umgekommen. Trotzdem zucken die Menschen nicht mal mehr, wenn wieder Geschosse einschlagen. Oder ein anderes Beispiel: In Mykolajiw hat uns eine ältere Frau fast emotionslos erzählt, dass ihr Sohn an der Front im Kampfeinsatz umgekommen ist. Der Tod gehört zum Alltag inzwischen dazu.

prisma: Wie hat sich der Krieg verändert? Ist zu erwarten, dass das Kampfgeschehen nur immer noch umfassender, noch grausamer wird?

Schwarzkopf: Ich weiß nicht, ob dieser Krieg noch grausamer werden kann. Nach Butscha, Irpin oder Borodyanka, nach allem, was wir über Exekutionen und Folter erfahren haben, ist das kaum vorstellbar. Aber dieser Krieg ist über die Monate deutlich verlustreicher geworden – und das auf beiden Seiten. Die Ukrainer haben, wie wir wissen, viel mehr schwere Waffen als zu Beginn des Krieges und greifen gezielt russische Truppen und Stellungen an. Zudem kämpfen die Russen mit Brachialtaktik. Sie schicken ohne Rücksicht auf Menschenleben ihre Soldaten in sogenannten Wellen los. Es gibt Meldungen von bis zu 1.000 toten Angreifern pro Tag. Aber auch auf ukrainischer Seite sind die Verluste enorm. Um das zu sehen, reicht es, einen Blick auf die Friedhöfe zu werfen mit ihren unzähligen frischen Gräbern.

Wie schätzt Steffen Schwarzkopf die zukünftige Lage ein?

prisma: Für ihren "Munich Security Report" hat die Münchner Sicherheitskonferenz eine repräsentative Umfrage in der Ukraine in Auftrag gegeben. Ein Ergebnis: Für 85 Prozent der Befragten wäre ein Rückzug Russlands auf die Demarkationslinie zu Beginn des Angriffskrieges keine akzeptable Grundlage für einen Waffenstillstand. Und: 75 Prozent der Befragten glauben, dass die Ukraine ohne westliche Sicherheitsgarantien niemals vor Russland sicher sein wird. Was heißt das für die Verhandlungsbereitschaft der Ukraine?

Schwarzkopf: Momentan sehe ich in Kiew keine Bereitschaft zu Verhandlungen. Immer wieder heißt es: Erst nach dem kompletten Rückzug der russischen Truppen sind wir zu Gesprächen bereit. Und dann hören wir – zumindest offiziell – von einer ukrainischen Gegenoffensive. Die ist meiner Einschätzung nach momentan überhaupt nicht möglich. Es geht in diesem Winter nur darum, dass die Ukrainer sich verteidigen. Off the camera gibt man das auch im Präsidentenpalast zu: Für eigene, großangelegte Offensivaktionen fehlt es momentan an Soldaten, an Waffen – und vor allem auch an Munition. Deswegen hören wir das von unseren Gesprächspartnern, egal ob Politikern, Soldaten oder Zivilisten, fast mantraartig in jedem Interview: "Gebt uns schwerere Waffen, gebt uns Kampfflugzeuge!"

teleschau; Im kommenden Jahr sollen sowohl in Russland als auch in der Ukraine Präsidentschaftswahlen stattfinden. Wird Wolodymyr Selenskyj Präsident bleiben?

Schwarzkopf: Bis zum März nächsten Jahres ist es noch eine Weile hin. Stand jetzt würde ich sagen: Ja, auf jeden Fall. Vor Kriegsbeginn hatte er wegen der grassierenden Korruption, wegen der hohen Arbeitslosigkeit, wegen ausbleibenden Investitionen in die Infrastruktur sehr schlechte Zustimmungsraten; gerade mal zwischen 20 und 30 Prozent der Ukrainer sagten in Umfragen, sie seien mit seiner Arbeit sehr zufrieden. Jetzt – zu Kriegszeiten – unterstützen fast 90 Prozent ihren Präsidenten. Die Ukrainer sind extrem zusammengerückt, auch politisch.

prisma: Haben Sie ihn persönlich kennengelernt?

Schwarzkopf: Ich habe ihn mehrmals im Präsidentenpalast gemeinsam mit anderen Kollegen erlebt, aber leider noch nicht im persönlichen Gespräch. Er wirkt dabei genauso straight und entschlossen wie bei seinen zahlreichen internationalen Ansprachen und Auftritten. Ist er gealtert in diesem Jahr? Keine Frage. Die Anspannung und die Last der Verantwortung hinterlassen Spuren. Eine persönliche Frage, die ich hätte, würde er – und dürfte er – vermutlich nicht ehrlich beantworten: Wie oft kommt bei Ihnen das Gefühl der Verzweiflung auf angesichts des Blutvergießens innerhalb der eigenen Bevölkerung?

prisma: Sehen Sie Chancen, dass dieser Krieg in diesem Jahr zu einem Ende kommt?

Schwarzkopf: So gerne ich "ja" sagen würde, ich wüsste nicht, wie dieser Krieg in den nächsten Monaten enden könnte.

(WELT TV zeigt die Reportage von Steffen Schwarzkopf, Tatjana Ohm, Max Hermes und Christoph Wanner, "Blutvergießen im Herzen Europas – ein Jahr Ukraine-Krieg" am Freitag, 24. Februar, um 20.05 Uhr. Der Sender zeigt am 24. Februar ab 15 Uhr eine ""WELT TALK"-Sonderausgabe. Gäste sind unter anderem Sahra Wagenknecht und Andrij Melnyk.)


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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