Bei Netflix

Der Wettbewerb um Leben und Tod: "Squid Game" wird zur Gameshow

30.11.2023, 12.49 Uhr
von Eric Leimann

"Squid Game" wurde zur erfolgreichsten Netflix-Serie aller Zeiten. Nun wird der Wettbewerb um Leben und Tod zu einem Event in London. Natürlich müssen die Spieler nicht um ihr Leben fürchten, dennoch erscheint die Reality-Show ein gewagtes Sozialexperiment zu sein. 

Der koreanische Sensations-Hit "Squid Game" von 2021 ist nach wie vor die erfolgreichste Netflix-Serie bis dato. Erfolgreicher als "Stranger Things" und "Wednesday", die auf den Podiums-Plätzen folgen. 265 Millionen "Views" stehen für das mit sechs Emmys ausgezeichnete Thriller-Weltereignis und Kulturphänomen von Hwang Dong-hyuk zu Buche. 900 Millionen Dollar, das hat Finanz-News-Dienstleister Bloomberg errechnet, soll Netflix mit "Squid Game" bislang verdient haben. Die Serie, ein geniales Thriller- und Horrorwerk, aber auch eine bittere Gesellschaftssatire auf den Kapitalismus, scheint die von ihr aufs Korn genommene Realität recht gut getroffen zu haben. 2025 folgt wegen des großen Erfolges eine von den Machern zu Anfang nie geplante zweite Staffel der Serie, und schon jetzt – ab Mittwoch, 22. November – läuft auch die Reality-Gameshow "Squid Game: The Challenge" bei Netflix.

Rekordsumme im weltweiten Gameshow-Business

Darin kämpfen reale 456 Spielerinnen und Spieler um einen gewaltigen Jackpot. Netflix veröffentlicht die ersten fünf, etwa einstündigen Folgen als Binge-Angebot auf einen Schlag. Eine Woche später folgen die Episoden sechs bis neun. Wie es ausgeht und wer der Gewinner der 4,56 Millionen US-Dollar sein wird – übrigens eine Rekordsumme im weltweiten Gameshow-Business -, erfährt man dann in Folge zehn am 6. Dezember.

Wer nun "Squid Game" nur vom Hörensagen oder vielleicht von den eigenen Kindern kennt, die auf dem Schulhof "Rotes Licht, grünes Licht", "Murmeln" oder Kekse ausstechen" spielten, muss wissen, dass die Grundidee von Hwang Dong-hyuks Serienwerk darin besteht, dass besagte 456 Spielerinnen und Spieler in der Regel bettelarme und oft hoch verschuldete Hungerleider sind, die sich gegenüber einem mysteriösen Veranstalter und seinen maskierten Aufpassern darauf einlassen, einen Kinderspiele-Marathon zu absolvieren, deren Verlierer eliminiert werden. Spieler, die ausscheiden, werden in der Serie augenblicklich erschossen oder sie sterben einen anderen grausamen Tod, indem sie beispielsweise aus großer Höhe in die Tiefe fallen.

Die gute Nachricht ist nun: Teilnehmende der Reality-Variante sterben nicht wirklich! Ansonsten bleibt in der in London mit viel Akribie nachgebauten, riesigen "Squid Game"-Anlage doch vieles gleich. Wobei sich die Frage stellt: Ist das wirklich eine gute Idee?

Zwischen Fiktion und Realität

Natürlich heißt die erste Folge der Show "Rotes Licht, grünes Licht" und die Teilnehmenden – Englisch sprechend, die meisten von ihnen dürften Amerikaner sein – rennen über einen riesigen Platz auf eine gruselige Riesenpuppe zu, deren stoppender Gesang die Kandidaten zum "Einfrieren" auffordert. Wer sich nun noch bewegt, mit dem Fuß oder Lid zuckt, wird erschossen. In der Serie führt dies zu Massenexekutionen nach jeder Spielrunde mit Kindergesang. In der Show treffen nun platzende Farbbeutel die Ausscheidenden. Und die spielen mal mehr, mal weniger effektvoll mit, wenn es darum geht, ihren Status dramatisch zu inszenieren. Viele mimen tatsächlich das Erschossen-werden, andere sitzen nur konsterniert da und stützen ihren Kopf in die Hände: "Mist, ausgeschieden! Der Traum ist aus".

Nun ist es ein bekanntes Phänomen, dass amerikanisches und auch britisches Reality-TV meist noch eine Spur übertriebener, drastischer und "verspielter" ist als in jenen Varianten, die seit "Big Brother" vor über 20 Jahren auch in Deutschland zu Hypes wurden. Natürlich lernt man auch bei "Squid Game: The Challenge" Kandidaten zwischen den Spielen durch Interviews kennen, in denen sie etwas über ihre Persönlichkeit verraten und auch mal, wie mies es ihnen finanziell geht und das diese Show nun ihre große Chance sei. In diesen Momenten glaubt man nicht nur einen Blick ins menschlich-moralisch heruntergewirtschaftete Amerika der Post-Trump-Jahre werfen zu können, sondern es treten neben den erschreckend echt nachgestellten Spielen und Kulissen auch Parallelen der unangenehmen Art zwischen Fiktion und Reality TV-auf: Nicht nur in der Drama-Serie, auch in der echten Version wird getäuscht, es werden echte, verzweifelte und falsche Allianzen gebildet und von den Kameras beäugt, damit der Netflix-Zuschauer unterhalten wird. Die meisten Spiele kennt man aus der Serie, aber es kommen noch einige neue hinzu – sonst würde ja die Überraschung fehlen.

Unangenehmes Angebot an die weltweite "Squid Game"-Fangemeinde

Was aber gänzlich fehlt, sind der grimmige Humor und natürlich auch die Spannung des Neuen und Unerwarteten, das die Fiction-Serie so gut machte. Die britische Produktion stellt zwar rein technisch eine gigantische und nah an der Fiction-Variante agierende Game-Show-Produktion auf die Beine, doch man fühlt sich nicht unbedingt gut dabei, wenn man den Kandidatinnen und Kandidaten bei ihrem Überlebensspiel zusieht. Während derzeit überall Menschen in Kriegen zu Tode kommen, ist es ein äußerst fragwürdiges Unterhaltungsangebot, inszenierten Reality-TV-"Erschießungen" beizuwohnen oder mit armen Hunden mitzufiebern, die eine große Plexiglas-Trommel mit Dollarscheinen gewinnen wollen, indem sie hoffen, dass ihre Mitkonkurrenten inszeniert "sterben", also ausscheiden.

Erstaunlicherweise erhält "Squid Game: The Challenge" als Spielshow durchaus auch gute Kritiken, sogar der britische "Guardian" ist voll des Lobes für das spannende Massenspektakel. Trotzdem bleibt festzuhalten: "Squid Game: The Challenge" ist ein eher unangenehmes Angebot an die weltweite "Squid Game"-Fangemeinde, die mit zum Zynischsten gehört, was das Unterhaltungsfernsehen in den letzten Jahren hervorbrachte. Da helfen auch die größten Spielhallen, Preisgelder und "Production Values" nicht aus der Ethik-Patsche.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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