Jubiläum des TV-Formats

70 Jahre "Das Wort zum Sonntag": Eine überraschende Erfolgsgeschichte

08.05.2024, 14.56 Uhr
von Elisa Eberle

Seit 70 Jahren wird in der ARD "Das Wort zum Sonntag" verkündet. Wie hat sich die Sendung in sieben Jahrzehnten entwickelt und warum ist die Ansprache, vor allem in den aktuellen Krisenzeiten, so relevant? Wir werfen einen Blick auf das ungewöhnliche TV-Format. 

Über Sinn und Unsinn 

Zugegeben, die Zeiten für den christlichen Glauben in Deutschland waren schon einmal besser: Allein im vergangenen Jahr sind rund 380.000 Personen aus der evangelischen Kirche ausgetreten. Auch die katholische Kirche verlor, einer Umfrage der dpa zufolge, im Jahr 2023 erneut Zehntausende Mitglieder. Trotzdem hält sich die wohl bekannteste christliche Fernsehsendung mit einer unvergleichlichen Vehemenz seit 70 Jahren im Programm der ARD: "Das Wort zum Sonntag" sollte eigentlich bereits am 1. Mai 1954 erstmals über die Fernsehbildschirme flimmern. Als erster Redner war der katholische Prälat Klaus Mund aus Aachen vorgesehen. Ein Kabelbrand jedoch verhinderte die Ausstrahlung der Live-Sendung. So wurde das Zepter an den evangelischen Pfarrer Walter Dittmann aus Hamburg übergeben.

"Sie haben heute Abend viel gesehen und gehört", begann der damals 54-Jährige seine Rede am 8. Mai 1954: "In bunter Fülle sind Bilder der Wirklichkeit an uns vorbeigezogen. Bilder vom Helfen und Heilen, vom Lieben und Geliebtwerden, aber auch vom heiteren, gelösten Spiel." Es war der Beginn einer durchaus philosophischen Abhandlung über den Sinn und Unsinn der Medien aus christlicher Sicht, die heute noch ebenso prägnant wäre.

"Das Wort zum Sonntag" ist überraschend weiblich

Viel hat sich seither getan, in der Medienwelt, in der Kirche, in der Gesellschaft sowieso. "Das Wort zum Sonntag" als zweitältestes Format im deutschen Fernsehen (nach der "Tagesschau") allerdings blieb eine feste Konstante im Nachtprogramm am Samstagabend, eingerahmt von den "Tagesthemen" auf der einen und dem Spätfilm auf der anderen Seite. Waren es in den ersten drei Jahren ausschließlich männliche Geistliche, die ihre Gedanken zu aktuellen Geschehnissen auf der Welt zum Ausdruck brachten, ergriff mit Erika Schwarze 1957 erstmals eine Frau das Wort.

Derzeit sind mit Annette Behnke, Lissy Eichert, Julia Enxing, Stefanie Schardien und Anke Prumbaum die Sprecherinnen sogar in der Überzahl, während das Verhältnis zwischen evangelischen und katholischen Glaubensangehörigen weiterhin ausgeglichen bleibt.

Prominente Gastredner sorgten für Quotenrekorde

Für Prumbaum, so ist der Kurzbiografie auf der Website der Sendung zu entnehmen, spielte Religion und Kirche im Elternhaus keine Rolle. Dennoch habe sie sich entschieden, Theologie zu studieren: "Ich war neugierig und wollte mal gucken. Und heute bin ich Pfarrerin. Aber ich kenne die Perspektive derer, die von sich sagen, dass sie eher nicht zur Kirche gehen. Mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ist mir wichtig – ihre Fragen an den Glauben zu hören und mit ihnen nach Orientierung im Leben zu suchen."

Vielleicht ist es diese allgemeine Offenheit, die die vielfach belächelte Sendung auch nach 70 Jahren am Leben erhält. Klar, "Das Wort zum Sonntag" wurde über die Jahrzehnte von anfangs zehn auf fünf und später gar auf vier Sendeminuten gekürzt. Mit durchschnittlich 1,24 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern im Jahr 2023 reicht das Format nur knapp an die zuvor gesendeten "Tagesthemen" (durchschnittlich rund 2,25 Millionen im Jahr 2022) heran.

Einen Ausbruch nach oben verzeichnete die Sendung vor dem "Eurovision Song Contest", die 2013 aus dem schwedischen Malmö gesendet wurde und 4,34 Millionen Menschen erreichte. Übertroffen wurde die Quote noch vom Gastbeitrag von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1987: Rund 7,5 Millionen Menschen interessierte, was das Kirchenoberhaupt kurz vor seiner bevorstehenden Deutschlandreise zu sagen hatte,

Wichtiges Innehalten in Krisenzeiten

Im Nachgang gewann auch "Das Wort zum Sonntag" im März 2020 größere Betrachtung: Annette Behnken formulierte damals eine überraschend harsche Kritik am Umgang der Europäischen Union mit der Flüchtlingskrise in Griechenland und der Türkei und erntete Lob wie Kritik von verschiedenen Seiten. Derartige Reaktionen auf gesellschaftspolitische Ereignisse gab es bereits in der Vergangenheit, etwa zur Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut 1977 oder zum Mauerfall 1989,

Letztlich sind es auch gerade diese Momente, die der im modernen Programm seltsam entrückt wirkenden Sendung auch heute noch ihre Existenzberechtigung verleihen: Wo sonst wird das Fernsehpublikum denn noch zur Sinnsuche und zum eigenständigen Nachdenken über die momentanen (Krisen-)Zeiten aufgerufen, ohne dass eine Handvoll Expertinnen und Experten dem Zuschauer sogleich ihre eigene Einschätzung aufdrücken? Eine intellektuelle, ethische, manchmal auch philosophische Einschätzung zur Lage der Dinge – das tut vielen Menschen einfach gut in diesen Zeiten. Der kirchliche Hintergrund ist dafür am Ende vielleicht gar nicht so wichtig für die einzelnen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH