Miniserie im ZDF

"Der Überfall": ein Scherbenhaufen der Wahrheit

04.03.2022, 08.22 Uhr
von Eric Leimann

Ein Pärchen überfällt einen Eckladen - mit dramatischen Konsequenzen. Die Miniserie im ZDF verstrickt verschiedene Perspektiven, doch das wurde schon besser gemacht.

ZDF
Der Überfall
Miniserie • 04.03.2022 • 21:15 Uhr

Die spielsüchtige Managerin Paula Schönberg (Katja Riemann) und der vorbestrafte Loser Daniel Kowalski (Joel Basman) sind ein seltsames Paar. Vor allem aber eines unter Druck. Um an schnelles Geld zu kommen, überfallen sie den Laden der iranischstämmigen Brüder Hassan (Hadi Khanjanpour) und Damon Merizadi (Yasin Boynuince). Der Überfall entgleist, es wird geschossen, die Täter befinden sich auf der Flucht. Zunächst mit sehr viel mehr Geld als zu erwarten gewesen wäre. "Der Überfall" heißt diese neue Miniserie im ZDF, die unter der Regie von Stephan Lacant nach den Drehbüchern von Katja Wenzel und Stefan Kolditz gedreht wurde.

Offenbar mussten die Merizadis an jenem Tag des Überfalls eine ungewöhnlich hohe Geldsumme in einer Papiertüte bereithalten. Eine Tüte, die wenig später abermals den Besitzer wechselt. Etwa um diese Zeit versucht Einsatzleiter Frank Worms (Sebastian Zimmler) mit seinem Team den Tatort zu sichern. Es gibt eine Leiche und einen Schwerverletzten. Im hinteren Teil des Ladens erwischte ein Querschläger das dort zufällig anwesende Paar.

Auch der kleine Sohn eines Ladenbesitzers, kurz vor der Tat von seinem Vater in Richtung Schule verabschiedet, ist nie in der Lehranstalt angekommen – und wie vom Erdboden verschwunden. Noch bevor die alarmierten Polizeikräfte im Eckladen eintreffen, ist Ermittlerin Antonia Gebert (Lorna Ishema) vor Ort. Auf ihrer Jogging-Runde kam sie zufällig am Tatort vorbei. Frank Worms nimmt Gebert, die wegen ihrer labilen Psyche als Polizistin derzeit von anspruchsvolleren Aufgaben entbunden ist, mit in sein Team auf. Schafft es die alleinerziehende Mutter, Licht ins Dunkel des Falles zu bringen, der multiperspektivisch aus Sicht der in den Überfall verwickelten Charaktere erzählt wird?

Folgen laufen freitags und samstags

Das ZDF streckt die sechs knapp einstündigen Folgen in der linearen Ausstrahlung über gut zwei Wochen. Immer freitags (21.15 Uhr) und samstags (21.45 Uhr) zeigt man eine weitere Episode. Wer das Programm "streamen" will, ist – wie mittlerweile üblich – im Vorteil. In der ZDF-Mediathek steht "Der Überfall" bereits seit Freitag, 25. Februar, mit allen sechs Folgen bereit.

Drehbuchautor Stefan Kolditz und seine Kollegin Katja Wenzel starten mit reichlich Vorschusslorbeeren in dieses auf dem Papier ambitionierte Krimiprojekt. Im vergangenen Jahr hat man mit "Das Geheimnis des Totenwaldes" einen der besten deutschen True-Crime-Mehrteiler überhaupt erschaffen – und dessen Hauptdarsteller Matthias Brandt zu einer überragenden Leistung "gepusht". Nebenbei ist Stefan Kolditz auch Autor von "Unsere Mütter, unsere Väter", dem bislang wohl immer noch besten deutschen (Anti)kriegsfilm dieses Jahrtausends.

Auch "Der Überfall" sollte nach Ankündigungen der Macher kein XXL-Krimi von der Stange werden, sondern eine Meditation über den Begriff Wahrheit liefern, die im Prolog der Serie mit einem "göttlichen Spiegel" verglichen wird. Nach dessen Zerbrechen, so der Vergleich, würden die Menschen jeweils nur eine Scherbe in der Hand halten. Doch wie setzt man diese wieder zusammen? Und ergibt sich danach wieder das reine göttliche Bild – also eine Wahrheit, die für alle gilt?

Komplexe Handlung geht anders

Leider muss man sagen, dass der Krimi weder seine philosophische "Aufgabe" erfüllt noch die Erzählung wirklich fesselnd wäre. Nach den Ankündigungen der Serienmacher würde man zumindest ein multiperspektivisches Erzählen erwarten, das Zuschauerinnen und Zuschauer mit Widersprüchen herausfordert. Tatsächlich springt die Kamera aber nur abwechselnd zu den Erzählsträngen der in den Überfall Verwickelten, die selbstredend unterschiedliche Ziele verfolgen. Natürlich versuchen einige von ihnen dabei, ihre Umwelt täuschen, doch die Betrachter sind eigentlich immer auf der Höhe des Geschehens. Ihr "Wahrheitsspiegel" bleibt unversehrt.

Doch selbst, wenn die Serie nicht das einlöst, was der Überbau zu versprechen scheint: Das ganz große Problem wäre auch das nicht, würden in "Der Überfall" nicht klischeehafte Charaktere mit erwartbaren Wendungen konfrontiert. Ein Figurenensemble, das von einem stets Dampf machenden Drehbuch atemlos durch die Handlung gehetzt wird, das sich aber selten so verhält, wie es normale Menschen – selbst unter extremen Drucksituationen – tun würde. Über die doch recht üppige Erzählstrecke wird man so mit kaum einem der Charaktere warm.

Einzig Katja Riemanns irritierende Doppelleben-Figur und – mit Abstrichen – Sebastian Zimmlers schillernde Cop-Figur wecken ein bisschen Interesse fürs Weiterschauen. Wie man – wohl ebenfalls ohne Riesen-Budget – eine Drama- und Thrillererzählung erschafft, die ein großes Figurenensemble und seine Verstrickungen rund um ein dramatisches Ereignis brillant in Szene setzt, beweist die dänische Serie "Wenn die Stille einkehrt" von 2021. Erzählt wird von einer größeren Gruppe Menschen, die – meist zufällig – in einen Terroranschlag verwickelt werden. Derzeit ist die Serie wieder in der ARD-Mediathek zu sehen und ein äußerst gelungenes Beispiel dafür, wie klug und bewegend im Rahmen einer Thrillerhandlung über das Menschsein nachgedacht werden kann.

Der Überfall – Fr. 04.03. – ZDF: 21.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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