"Seine Familie kann man sich nicht aussuchen"

Der neue "Polizeiruf" aus Rostock: Träume und Albträume von Familie

24.04.2022, 08.37 Uhr
von Eric Leimann

Auf Charly Hübner folgt dessen Ehefrau Lina Beckmann. Ihr erster "Polizeiruf 110" an der Seite von Anneke Kim Sarnau – für die beiden Ermittlerinnen ist es ein holpriger Start – offenbart ein bitteres Familiendrama.

ARD
Polizeiruf 110: Seine Familie kann man sich nicht aussuchen
Kriminalfilm • 24.04.2022 • 20:15 Uhr

Es sieht ein wenig nach Vetternwirtschaft aus, dass ausgerechnet Charly Hübners Ehefrau, der Hamburger Theaterstar Lina Beckmann, als dessen Nachfolgerin im Rostocker "Polizeiruf"-Krimi antritt. Würde ja auch zu Hübners Rolle des mittlerweile wohl in Sibirien (!) untergetauchten Ermittlers Sascha Bukow passen, denn der hatte ja stets mit der eigenen Familie und ihren dunklen Geschäften seine Last. In Wirklichkeit war es jedoch ganz anders. Weder Hübner noch Beckmann wussten, dass der NDR und die Rostocker "Polizeiruf 110"-Produzenten die 40-jährige Schauspielerin in Sachen Nachfolge ansprechen würden. Nun ist es also soweit mit Beckmanns Debüt als Profilerin Melly Böwe. Im "Polizeiruf 110: Seine Familie kann man sich nicht aussuchen" reist sie erst mal aus Bochum an, um ihrer Bald-Kollegin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) das Leben bei der Aufklärung eines Doppelmordes schwer zu machen. Es gibt sicher einfachere Starts für ein Ermittlerinnen-Team!

König, deren Chef Röder (Uwe Preuss) sie dazu drängt, die seit Bukows Abgang vakante Teamleitung zu übernehmen, wird mit ihren Leuten zu einem Einfamilienhaus gerufen. Dort liegen die Leichen einer alleinerziehenden Mutter und ihres schwerbehinderten Sohnes. Die Frau wurde mit mehreren Stichen ermordet, ihr vom Hals abwärts gelähmter Sohn starb an einem Schlaganfall, weil niemand mehr seine Infusion wechseln konnte.

Katrin König ermittelt bei Jens Sommer (Christian Beermann), Ex-Mann und Vater, aber auch bei Familie Genth, die eng mit den Sommers befreundet war. Die schwangere Jule (stark: Susanne Bormann) und ihr Ehemann Holger (Jörn Knebel) haben bereits zwei halbwüchsige Pflegekinder. Das Mädchen Emma (Paraschiva Dragus), scheint sehr eng mit der Pflegemutter verbunden, der offenbar deutlich schwierigere Max (Alessandro Schuster) ist jedoch seit der Tat verschwunden. Welche Rolle spielt Familie Genth in diesem Fall?

Melly Böwe war schon mal im "Polizeiruf" zu sehen

Mit der Zeit kommt heraus, warum Melly Böwe von Bochum nach Rostock geschickt wurde: Sie soll den flüchtigen Sohn Max schützen, denn seine wahre Identität darf "von höherer Stelle aus" nicht verraten werden. Es sieht so aus, als hätte Katrin König nach dem Weggang ihrer Liebe Sascha Bukow nicht nur dessen Fehlen, sondern auch einen ziemlich holprigen Start mit dessen Nachfolgerin zu verkraften. Die Figur der Melly Böwe wurde bereits im grandiosen Rostocker "Polizeiruf 110: Sabine" eingeführt, als diese – immerhin Halbschwester Bukows – zur Beerdigung des Vaters anreiste. Ausgestrahlt wurde der Film im März 2021.

Damals war bereits klar, dass Beckmann die Ermittlerinnen-Rolle ein Jahr später fest übernehmen würde. Wie sie sich mit Katrin König zum Team zusammenfindet, wird in "Seine Familie kann man sich nicht aussuchen" noch nicht aufgelöst. Dies wird sich wohl erst in Folge zwei klären. Lina Beckmanns schauspielerischer Schwerpunkt bleibt jedoch das Theater. In Filmen wie der grandiosen Ralf Husmann-Romanverfilmung "Vorsicht vor Leuten" (2015) – dort übrigens als Ehefrau Charly Hübners – hat sie ihr großes Talent aber auch schon in Filmen unter Beweis gestellt.

Angesichts ihres großen Potenzials fällt Beckmanns Auftritt in ihrem ersten richtigen "Polizeiruf"-Fall (noch) ziemlich zurückhaltend aus. Im Vordergrund stehen da verzwickte Beziehungsmodelle, Träume und Albträume von Familie und wie sie konstruiert beziehungsweise dekonstruiert werden. Florian Oeller ("Tatort: National feminin"), der schon oft für den Rostocker Standort schrieb – unter anderem den besagten Fall "Sabine", sicher einer der besten deutschen TV-Krimis der letzten Jahre -, verfasste auch hier das Drehbuch. Regie führte Stefan Krohmer ("Neu in unserer Familie"), ebenfalls ein durchaus besonderer Regisseur.

Was die beiden Kreativen zur Einführung Lina Beckmanns auf den Sonntagabend-Fernsehschirm zaubern, ist ein guter, wenn auch kein sehr guter Debütkrimi fürs neue Ermittlerinnen-Team von der Ostsee. Dafür hat der Film zu viele lose Enden und anerzählte Geschichten, die sich einander ins Gehege kommen oder einfach auslaufen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Schauspielerisch ist das Rostocker Revier – und das inkludiert auch alle Nebenermittler – ohnehin eine Klasse für sich.

Polizeiruf 110: Seine Familie kann man sich nicht aussuchen – So. 24.04. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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