Bei "Maischberger"

Strack-Zimmermann befürchtet: "Dann wird das nicht der letzte Krieg in Europa gewesen sein"

28.09.2023, 11.04 Uhr
von Christopher Schmitt

Was passiert, falls die Ukraine schwächer werden sollte? Diese Frage analysierten die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Soziologe Harald Welzer am Dienstagabend bei "maischberger".

In der stetig neu aufflammenden Diskussion um Waffenlieferungen für die Ukraine gelten sie als stellvertretende Gegenpole: Am Mittwochabend diskutierten die Vorsitzende des Bundesverteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), und Soziologe Harald Welzer bei "maischberger" über die aktuelle Situation im Ukraine-Krieg. Gastgeberin Sandra Maischberger nutzte nach eigener Aussage eine "ketzerische Frage", um die Debatte im ARD-Talk in Gang zu bringen: Hat "Frieden schaffen mit Waffen" bislang funktioniert?

"Wenn die Menschen verhungern, werde man bald noch ganz andere Bilder an den EU-Außengrenzen sehen"

"Es hat insofern funktioniert, dass die Ukraine bisher überlebt hat", entgegnete Strack-Zimmermann. Bezug nehmend auf das zuvor in der Sendung diskutierte Thema Migration in Europa und russische Pläne, erklärte sie: Russische Truppen hätten Felder vermint und verhinderten die Getreide-Ausfuhr aus der Ukraine. "Davon sind 400 Millionen Menschen weltweit betroffen", überwiegend in Asien und Afrika. "Da wird auch gezielt seitens Russland der Mensch benutzt, um Druck auf Europa zu machen." Wenn die Menschen verhungern, werde man bald noch ganz andere Bilder an den EU-Außengrenzen sehen.

Harald Welzer konstatierte, jetzt habe man die Situation eines Abnutzungskriegs. Im vergangenen April habe er bereits argumentiert, dass der Krieg diese Wendung nehmen würde. Seiner Ansicht nach habe dies zwei Folgen: Es gebe immer das Potenzial einer Eskalation, und man könne diese Art Krieg höchstens gewinnen, indem man immer weiter Menschen und Waffen zuführe. Aus militärischen Kreisen habe der Soziologe habe er allerdings gehört, dass der Krieg auch auf diese Weise nicht zu gewinnen sei.

"Putin und seine Schergen nicht an Frieden interessiert"

Strack-Zimmermann sah dies wie zu erwarten anders: Das erklärte Ziel Wladimir Putins bleibe, die komplette Ukraine einzunehmen, das habe sich nicht geändert. Dieses Argument unterfütterte sie mit dem Auftritt des russischen Außenministers Lawrow bei der UNO.

Lawrow habe während des Selenskyj-Auftritts den Raum verlassen und danach deutlich gemacht, dass Russland dessen Zehn-Punkte-Plan zum Frieden ablehne – und Russland den Krieg nur militärisch gewinnen würde. Die FDP-Politikerin sei froh, dass das mal "live und in Farbe" gesendet wurde, weil man sehe, dass "Wladimir Putin und seine Schergen an einem Frieden nicht interessiert sind".

Weiter führte Strack-Zimmermann aus: "Wladmir Putin könnte heute sagen: Schluss, aus die Maus, Truppen zurück." Dann wäre der Krieg zu Ende. "Wenn die Ukraine sagt: Schluss, wir kämpfen nicht mehr, ist die Ukraine verschwunden." Deswegen müsse die Ukraine weiterhin unterstützt werden – auch mit Waffen.

Konflikt sei richtungsweisend für "unsere Kinder und Enkelkinder"

Welzer erklärte hingegen, Waffensysteme müssten sich in der "empirischen Realität des Krieges beweisen". Zwar hätten sie bisher nicht zu einer Eskalation beigetragen, jedoch seien sie auch nicht der versprochene Gamechanger gewesen. "Wir haben eine Patt-Situation", konstatierte der Soziologe hinsichtlich des Frontverlaufs.

Die Situation habe sich in den vergangenen 19 Monaten auch außenpolitisch verändert: Putin sei durch die BRICS-Staaten und Nordkorea nicht so isoliert. "Wir haben im Kriegsgeschehen selber Prozesse gehabt, die zu unfassbar vielen Opfern geführt haben." Nachdem er zusammenfasste, dass es darum gehe, der Ukraine die Befähigung zu Verhandlungen zu geben, lautete seine Frage: "Wann ist der Punkt da, wenn diese Befähigung da ist und wann verliert man ihn möglicherweise wieder?"

Auf die Frage ging Strack-Zimmermann nicht direkt ein, stattdessen stellte sie klar: "Es geht schlicht und ergreifend um die territoriale Integrität der Ukraine, es geht ums Völkerrecht". Wenn die Ukraine diesen Krieg verliere, werde "das nicht der letzte Krieg in Europa gewesen sein". Dies sei kein abstrakter Krieg in der Nachbarschaft. Stattdessen sei der Konflikt richtungsweisend für "unsere Kinder und Enkelkinder, wie sie in diesem Europa leben".

"In Russland wird weitergelebt, als ob nichts passiert"

Dann machte Strack-Zimmermann noch einen moralischen Punkt: Ukrainische Frauen würden vergewaltigt, Kinder seien verschwunden, Folterkammern wurden gefunden. "In Russland wird weitergelebt, als ob nichts passiert." Die FDP-Politikerin ist der Überzeugung, die Ukraine könne den Krieg gewinnen, "wenn sie die Möglichkeit und die Mittel der Staaten bekommt, die sie unterstützten".

Das Problem sei der Zeitfaktor. Wenn der Kanzler sich etwa für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern entscheide, dauere dies drei Monate, bis sie in der Ukraine ankommen – und dann müssten noch ukrainische Soldaten daran geschult werden. In dieser Zeit seien die Russen nicht untätig.

Welzer betonte hingegen, dass Krieg nicht nur eine moralische, sondern auch eine empirische Dimension habe. Der Soziologe wies etwa auf die Gefahr hin, dass die Ukraine im Zuge der US-Wahl die Unterstützung der Vereinigten Staaten verlieren könne und danach in einer schlechteren Position wäre. Auf Welzers Frage, was Strack-Zimmermann für den Fall vorschlage, dass die Ukraine schwächer würde, hatte sie jedoch auch keine Antwort.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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