"Borowski und der Schatten des Mondes"

"Tatort": Jimi Hendrix und der doppelte Milberg

10.04.2022, 08.47 Uhr
von Eric Leimann

Die Leiche eines jungen Mädchens wird gefunden. Sie ist schon viele Jahre tot – und war einst die Jugendliebe von Kommissar Borowski. Der neue Milberg-"Tatort" ist feinstes "Nordic Noir"-TV mit großem Schauspiel.

ARD
Tatort: Borowski und der Schatten des Mondes
Kriminalfilm • 10.04.2022 • 20:15 Uhr

Das Love-and-Peace Festival auf Fehmarn mit Jimi Hendrix als Headliner sollte das deutsche Woodstock werden. Tatsächlich ging dort beinahe alles schief, was schiefgehen konnte. Dennoch nimmt der deutsche Insel-Gig des Gitarrenvirtuosen am 6. September 1970 einen wichtigen Platz in der Musikgeschichte ein. Es war der letzte Festival-Auftritt von Hendrix, der zwölf Tage später in London starb. Für den "Tatort: Borowski und der Schatten des Mondes" spielt das Event nur insofern eine Rolle, als die fiktiven Teenager Susanne Hansen (Mina Rueffer) und Klaus Borowski (August Milberg) das Konzert besuchen wollen. Axel Milbergs Sohn Sohn August spielt im NDR-Krimi die 16 Jahre alte Version von Kommissar Borowski, der seit damals damit klarkommen muss, dass seine erste Freundin nach einem Streit alleine zum Festival fuhr, dort jedoch nie ankam.

Als 50 Jahre später nach einem Herbststurm unter einer entwurzelten Eiche ein skelettierter Leichnam gefunden wird, kommt heraus: Es sind die Überreste Susannes. Borowski (Axel Milberg) wirkt tief getroffen. Mila Sahin (Almila Bagriacik) empfindet Mitgefühl, kann den Kollegen aber kaum noch erreichen. Der sucht den greisen Vater Susannes auf (der mittlerweile verstorbene Hamburger Kult-Schauspieler Peter Maertens) und "beamt" sich mit Flashbacks ins Jahr 1970 zurück, um sich mit der eigenen Schuld, dem Verlust, aber auch dem Kriminalfall von damals auseinanderzusetzen. War ein später verurteilter Vergewaltiger – wie viele annehmen – tatsächlich auch der Mörder Susannes? Und was hat der softe Musikliebhaber und Waldspaziergänger Michael Mertins (Stefan Kurt) mit der Sache zu tun?

Der Film "Borowski und der Schatten des Mondes" muss schon einige Zeit in den NDR-Regalen herumliegen: Peter Maertens, der bereits im Juli 2020 im Alter von 88 Jahren verstarb, spielt hier noch einmal sehr charismatisch den noch immer trauernden Vater Susannes. Es ist ein Krimi, der zwar mit dem Jimi Hendrix-Stück "Purple Haze" aufmacht und dazu grobkörnige Doku-Bilder des Love-and-Peace-Festivals mit dem fiktiven Vermissten-Fall des jungen Mädchens mischt – der Retroaspekt spielt im weiteren Verlauf aber nur noch eine untergeordnete Rolle. Vielmehr ersannen die Autoren Patrick Brunken ("Das Haus") und Torsten Wenzel ("Colonia Dignidad") einen klassischen "Nordic Noir"-Krimi mit Serienmördern, seltsam bestatteten Leichen und viel dunkler Waldatmosphäre.

Einer der besten Kieler "Tatorte" seit Langem

Dass man sich für einen solchen Fall Nicolai Rohde als Regisseur holt, ergibt Sinn, denn mit ziemlich drastischen und bildgewaltigen Fernsehwerken wie "Carneval – Der Clown bringt den Tod" oder der kurzlebigen "Julia Durant"-Reihe bei SAT.1 hat sich der Bremer Filmemacher einen guten Ruf für optisch starke, stimmungsvolle Hard Boiled-Inszenierungen erworben. Tatsächlich macht Rohdes Regie in diesem Krimi einiges her. Zahlreiche Drohnenbilder fangen den Wald und das Personal dieses Krimis aus der Luft von weit oben ein, was ein sehr einsames Gefühl erzeugt, um dann wieder in den schauspielerischen Infight mit Nahaufnahmen von Gesichtern und gut geschriebenen, intensiven Dialogen zu gehen.

Ein Konstrukt, das natürlich nur dann funktioniert, wenn das Spiel mit den viel bemühten Düster-Standards des Genres so überdurchschnittlich gut ineinandergreift wie hier. Stefan Kurt und seine Film-Ehefrau Lena Stolze sind als von einem dunklen Geheimnis bedrohtes, liebendes Biedermann-Ehepaar eine ganz große Nummer. Auch Axel Milbergs Sohn August macht im Zusammenspiel mit dem gut aufgelegten Vater eine gute Figur.

Einzig und allein Almila Bagriacik hat als Mila Sahin mal wieder ziemlich wenig zu tun. Das ist nichts Neues, denn in den letzten beiden Kiel-Fällen, Lars Eidingers Abschied als "Stiller Gast" (Oktober 2021) sowie "Borowski und die Angst der weißen Männer" (März 2021), stand ebenfalls der nach wie vor titelgebende Platzhirsch-Kommissar erzählerisch stark im Vordergrund. Vielleicht wäre es an der Zeit, im Norden ein wenig mehr Team zu wagen – was jedoch der Tatsache keinen Abbruch tut, dass "Borowski und der Schatten des Mondes" einer der stimmungsvollsten, rundesten und spannendsten Nord-"Tatorte" seit langem ist.

Tatort: Borowski und der Schatten des Mondes – So. 10.04. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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