Romanverfilmung in der ARD

"Der Trafikant": Die Wandlung vom "Burschi" zum Mann

von Andreas Fischer

Wien 1937: Die Nazis kriechen überall aus ihren Löchern und ein junger Mann sucht Rat bei Siegmund Freud. In der Verfilmung ist die Leichtigkeit des Romans "Der Trafikant" leider ein wenig abhanden gekommen.

ARD
Der Trafikant
Drama • 11.08.2020 • 22:45 Uhr

Auch ein Sigmund Freud kann einem jungen Menschen nur bedingt dabei helfen, erwachsen zu werden. Also muss Franz Huchel ganz allein in der großen, weiten Welt klarkommen. Aber nicht nur die Lust und die Liebe erschweren ihm den Start ins Männerleben. Die Zeiten allgemein "rennen rum wie ein kopfloses Hendl". Es ist 1937, und Österreich fiebert mit entschlossener Boshaftigkeit dem Anschluss ans Großdeutsche Reich entgegen. Was der unscheinbare Bub vom Land in einem Tabakladen in dieser Zeit in Wien erlebt, hat Robert Seethaler in seinem Bestseller "Der Trafikant" zu einem poetischen, stimmungsvollen Coming-of-Age-Roman von unerhörter Leichtigkeit verarbeitet. Die aber ist Regisseur Nikolaus Leytner in seiner gut gemeinten Biedermeier-Verfilmung leider abhandengekommen. Das Erste zeigt die Romanverfilmung nun als Free-TV-Premiere.

Nach dem Tod ihres Liebhabers bleibt Margarete Huchel (Regina Fritsch) nichts anderes übrig, als ihren Sohn Franz (Simon Morzé) nach Wien zu schicken. Der unbedarfte Provinzbub soll dort bei einem Trafikanten (Johannes Krisch), einem Tabak- und Zeitschriftenhändler, in die Lehre gehen. Für den 17-Jährigen ist die Reise ein doppelter Aufbruch: Er muss sich von seinem geliebten Attersee verabschieden und von seiner jugendlichen Unbedarftheit.

Halt in der Haltlosigkeit sucht er bei Sigmund Freud (Bruno Ganz), der in der Trafik seine Zigarren und Zeitungen kauft. Der Mann kann den Leuten den Kopf wieder gerade richten, warum soll er Franz da nicht auch in Liebes- und Lebensdingen beraten können?

Der "Burschi", wie er allseits genannt wird, ist sich selbst in seinem neuen Leben fremd. In ihm steckt die Unsicherheit der Jugend, das Zweifeln und Suchen. Auf die Welt kann er sich keinen Reim machen, nicht in Liebesdingen – die hübsche Böhmin Anezka (Emma Drogunova) entgleitet ihm wieder – und nicht in politischen Dingen.

Das ist schon in normalen Zeiten nicht einfach, im Wien 1937 und 1938 aber noch ungleich schwerer. Die Nazis kommen überall aus ihren Ecken gekrochen und verbreiten faschistischen Terror. Antisemitismus, Ausgrenzung, Verfolgung Andersdenkender: Thematisch ist "Der Trafikant" so relevant, wie ein Film heutzutage nur sein kann. Als Literaturverfilmung ist er jedoch kein Meisterwerk.

Wien ist hier eine tote Stadt in Sepiatönen. Mehr Klischee geht fast nicht. Der in seiner Schnörkellosigkeit erheiternde Ton der Romanvorlage geht in artifiziell wirkenden Bildern verloren. Die Kulissen sind Kulissen. Und das sieht man, egal wo man hinschaut. Die Schauplätze werden brav abgefilmt, das Leben im Film ist ein gekünsteltes.

Das ist ziemlich ärgerlich. Insbesondere, weil Regisseur Nikolaus Leytner das Potenzial seiner Darsteller verkennt und sie vornehmlich als Dialogaufsager einsetzt. Dabei können die Schauspieler, allen voran Hauptdarsteller Simon Morzé, weit mehr, als Staffage in einem biederen Kostümfilm und Historienschinken zu sein. Am eindrücklichsten bleiben die Szenen ohne Worte, die Nahaufnahmen, vor allem von Simon Morzé, der die Wandlung des "Burschis" zum Franz Huchel mit natürlicher Glaubwürdigkeit meistert.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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