Kultur

Tim Burton: Surrealist mit Scherenhand

11.08.2015, 06.15 Uhr
von Detlef Hartlap
Sind so große Augen: Tim Burton mit Gemälden aus seinem jüngsten Film "Big Eyes".
Sind so große Augen: Tim Burton mit Gemälden aus seinem jüngsten Film "Big Eyes".  Fotoquelle: Tim Burton; Leah Gallo; Max Ernst Museum Brühl; Presse

Brühl: Hollywoodregisseur Tim Burton erweist sich als würdiger Nachfahre des großen Max Ernst.

"The World of Tim Burton"

16. August 2015 bis 3. Januar 2016

 

Max Ernst Museum Brühl Comesstraße 42/Max-Ernst-Allee 1 50321 Brühl

 

Öffnungszeiten: di.– so., 11 bis 18 Uhr

 

Museumseintritt: Erwachsene 9,50 Euro/ermäßigt 5,50 Euro

 

Tickets im Vorverkauf zum Selbstausdrucken inkl. VRS-Fahrausweis: www.bonnticket.de (Tel: 0221/2801 bzw. 0228/502010) und an allen bekannten Vorverkaufsstellen Erwachsene 12 Euro/ermäßigt 7,60 Euro

 

www.maxernstmuseum.lvr.de

Die Geschichte des Surrealismus geht weiter und wird um eine Variante bereichert – die gespenstischen Gestalten aus dem Burtonland.

Der amerikanische Regisseur Timothy Walter Burton, geboren 1958 in Burbank, Kalifornien, hat mit Filmen wie "Edward mit den Scherenhänden", "Sleepy Hollow" oder "Alice im Wunderland" einige Seiten Hollywoods aufblitzen lassen, die man verschüttet wähnte – Kreativität, Witz und den unerschütterlichen Glauben an das Fortbestehen des Märchenhaften inmitten einer auf Geld und Berechenbarkeit getakteten Welt.

Dem leisen Schrecken auf der Spur

Wie in seinen Filmen ist er auch in seinen Bildnissen immer dem leisen Schrecken auf der Spur, dem skurrilen Wesen, das unserem auf Ordnung und Klarheit erpichten Leben innewohnt. Das sichtbar zu machen erfordert besondere Maßnahmen.

Die Burton-Werke jenseits der Filme wurden 2009 in New York im Museum of Modern Art erstmals in gesammelter Form gezeigt. Jetzt kommen sie, tatsächlich, in das kleine Max Ernst Museum im rheinischen Brühl, wo sie vom Wochenende an bis Anfang Januar 2016 zu sehen sein werden.

Schade, dass sie sich nie begegnet sind, Tim Burton und Max Ernst. Der Großmeister aus Brühl (dort geboren 1891, gestorben 1976 in Paris), der sich nie als Malerfürst inszenierte, und der genialische Kalifornier.

Individualität, Eigensinn und Eifersucht

Sie hätten sich, davon darf man ausgehen, bestens verstanden. Besonders Max Ernst galt zeitlebens als Maler-Maler. Heißt, er war ein Künstler, der schnell in Kreisen heimisch werden konnte, die vor Individualität, Eigensinn und Eifersucht nur so strotzten. Max Ernst wusste diese Typen zu nehmen und verkehrte unbefangen in einer auf Krawall gebürsteten Umgebung.

Er war der herausragende deutsche Part im Pariser Surrealismus der Zwanziger- und Dreißigerjahre, in dem André Breton, Salvador Dalí, Paul Éluard (u.v.a.) gegen- und miteinander eine Überwirklichkeit zur realen Welt schufen. Oft ganz harmlos, mitunter voller Zärtlichkeit. Meist aber entstanden Collagen, Skulpturen, Bilder aus Wut und Notwehr gegen eine aus den Fugen geratene Gesellschaft.

Max Ernsts Gemälde "Die ganze Stadt" und "Der große Wald" wirken auch 80 Jahre nach ihrer Entstehung noch atemberaubend in ihrer düster-prophetischen Wucht.

Geographisch am nächsten gekommen sind sich Ernst und Burton in den Arizona-Jahren (1941, 1946), als sich Max Ernst mit seiner Frau Dorothea Tanning in dem Wüsten-Nest Sedona niederließ, heute ein musikbeflissenes Städtchen ohne nennenswerte Max-Ernst-Erinnerung. Dort betätigte er sich vor allem bildhauerisch ("Capricorn" etc.). Doch das war lange vor Tim Burtons Geburt.

Preis für städtische Anti-Müll-Kampagne

Der tat sich zum ersten Mal als 19-Jähriger als Gewinner des ersten Preises einer städtischen Anti-Müll-Kampagne in Burbank hervor. Seine Grafik "Crush Litter" (Pressmüll) durfte zwei Monate lang die örtliche Müllabfuhr zieren.

Mit 22 fand er bei Disney Beschäftigung. Wollten die Pariser Surrealisten einst den überkommenen Geniebegriff überwinden und durch ihr schnelles, gleichsam geistesgegenwärtiges Arbeiten ad absurdum führen, so musste Tim Burton bei Disney lernen, dass brillante, spontane Ideen dort vielleicht ein Schulterklopfen eintragen, aber kaum Chance auf Verwirklichung finden.

Er zeichnete viel, bastelte viel, er wirkte an Filmen wie "Taran und der Zauberkessel" mit und an "Aliens". Aber meistens winkten die Bosse ab: zu schräg, zu befremdend ... Erst mit 30 schaffte er, inzwischen fern von Disney, mit dem Geisterfilm "Beetlejuice" den Durchbruch. Und zum ersten von vielen Malen wurde ein Burton-Film mit einem Oscar ausgezeichnet – fürs beste Make-up.

Einen Schritt neben der Mittellinie

Das Max Ernst Museum präsentiert 500 Zeichnungen, Gemälde, Filmpuppen, Maquetten (Modelle im Kleinformat), Storyboards und persönliche Dokumente des Meisterregisseurs, dessen Fantasie von der Tagespresse regelmäßig als "bizarr" oder "morbid" beschrieben wird, worunter wir uns vorstellen dürfen, dass sich Burtons Gedanken stets einen Schritt neben der Mittellinie bewegen.

Im Zentrum der Ausstellung stehen Burtons Charaktere, Außenseiter wie er, die seine Filme wie "Batman" (1989), "Tim Burton's Nightmare Before Christmas" (1993), "Sleepy Hollow" (1999) und "Frankenweenie" (2012) zu ungewohnten und oft ergreifenden Erlebnissen jenseits des Blockbuster-Kinos machen. Burtons immer verspielte, nie wirklich gehässige Scherenhand schafft sich eigene Welten.

Das Brühler Museum hat sich, indem es einen Weltstar in seine eher bescheidenen Verhältnisse einlud, mächtig was aufgeladen. Die Voranfragen aus ganz Deutschland sprengen jedes bisher in Brühl bekannte Ausmaß. Beim Schreiben dieser Zeilen war noch offen, ob es zu zeitlich limitierten Besucherkontingenten kommen würde, was sich bei den großen niederländischen Museen bewährt hat, wenn van Gogh oder Vermeer ausgestellt werden.

Die Gefilde des Burtonesken

Wie auch immer, die Reise in die Gefilde des Burtonesken lohnt. Der Surrealismus entstand 1917 inmitten des Weltkrieg-Grauens. Er flockte bald aus zu Dada und zum Kurt Schwitter’schen Merz.

Er fand späte Ausformungen in der Popmusik (bei John Lennon, den Rolling Stones) und in vielen Filmen (zuletzt besonders in "Moonrise Kingdom" und anderen Werken von Wes Anderson) und hat in Tim Burton einen respektablen Post-Surrealisten und Max-Ernst-Nachfahren gefunden.

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