Schauspielerin im Interview

Julia Anna Grob als Holocaust-Überlebende Margot Friedländer: "Die Macht über die eigene Geschichte zurückholen"

08.11.2023, 09.01 Uhr
von Eric Leimann

Im Dokudrama "Ich bin! Margot Friedländer" übernimmt Julia Anna Grob die Rolle der Holocaust-Überlebende Margot Friedländer. Im Interview berichtet die Schauspielerin unter anderem darüber, wie es war, ihr 101-jähriges Rollenvorbild persönlich zu treffen und warum der Film so wichtig ist. 

Newcomerin Julia Anna Grob wurde über ein Casting aus vielen Bewerberinnen ausgewählt, um Margot Friedländer zu spielen, eine der letzten Holocaust-Überlebenden. Im Dokudrama "Ich bin! Margot Friedländer" (Dienstag, 07.11., 20.15 Uhr, ZDF) sieht man sie als jüdische junge Frau in Berlin, die erleben muss, wie ihr eigenes Leben verschwindet.

Der Vater hatte die Familie verlassen, ihre Mutter und der jüngere Bruder wurden nach Auschwitz deportiert. Margot, damals Anfang 20, überlebte 15 Monate in 16 verschiedenen Verstecken im Untergrund von Berlin. 1944 wurde sie gefasst und ins Lager nach Theresienstadt gebracht. Margot Friedländer überlebte, ging nach Amerika und kehrte erst nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2010 nach Berlin zurück. Dort ist nun ein Film über das Leben der mittlerweile 101 Jahre alten Kämpferin gegen das Vergessen entstanden. Schauspielerin Julia Anna Grob wurde von Margot Friedländer selbst in die Rolle "eingewiesen". Doch wie verkörpert man eine sehr besondere Frau, die von sich selbst sagt: "Ich bin nicht leicht zu spielen ..."?

prisma: Sie lernten Margot Friedländer während der Dreharbeiten kennen. Wie lautete Ihre wichtigste Frage an sie?

Julia Anna Grob: Es gab nicht die eine große Frage, aber ich wollte natürlich wissen, welche Gefühle sie in jenen Momenten hatte, als ihr diese unfassbaren Dinge passierten. Als ihre Mutter und ihr Bruder abgeholt und ins KZ gebracht wurden. Als man sie später selbst gefasst und nach Theresienstadt gebracht hat. Das sind Schicksalsschläge, die man sich als Außenstehende kaum vorstellen kann. Ich habe mich gefragt, ob man sie emotional überhaupt beschreiben kann.

prisma: Und was hat Ihnen Margot Friedländer geantwortet?

Julia Anna Grob: Dass man es nicht in Worte fassen und auch nicht nachvollziehen kann, wenn man es nicht erlebt hat. Die Einsamkeit während der Zeit, in der sie sich versteckt hat, war sicher ein großes Problem für sie. Sie war als junge Frau ganz alleine. Und nicht alle Menschen, die sie versteckten, waren nett zu ihr. Ich glaube, die empfundene Schutzlosigkeit hat ihr in dieser Lebensphase stark zugesetzt.

"Man muss das Erlebte ein Stück weit abspalten, um überhaupt weiterleben zu können"

prisma: Wie schwer drückte die Verantwortung, Margot Friedländer zu spielen, auf Ihren Schultern?

Julia Anna Grob: Ich hatte sehr viel Respekt vor dieser Aufgabe. Und ich sehe es auch eher so, dass ich dieser wichtigen und wahren Geschichte meine Stimme und meinen Körper geliehen habe. In diesem Film geht es darum, ihrer Geschichte zu dienen. Es geht nicht darum, da etwas drüber zu stülpen, was sie nicht ist oder war.

prisma: Man hört und sieht Margot Friedländer im Film auch selbst erzählen. Sie hat eine Bestimmtheit, aber auch Nüchternheit, wenn sie ihr Leben erzählt. Glauben Sie, dass Sachlichkeit dabei hilft, mit dem Grauen umzugehen?

Julia Anna Grob: Ich denke schon, dass man das Erlebte ein Stück weit abspalten muss, um überhaupt weiterleben zu können – weil es so traumatisch ist. Wenn einem so etwas widerfährt, muss das ganz weit weg von einem selbst versorgt werden. Das würde mir sicher nicht anders gehen. Margot Friedländer strahlt eine enorme Kraft und Stärke aus. Doch über gewisse Dinge zu reden, lehnt sie sehr bestimmt ab – was ich absolut verstehen kann.

prisma: Interessant ist jene Passage im Film, in der Margot Friedländer über die Gefühle zu ihrem Mann spricht, den sie im KZ kennenlernte und kurz danach heiratete. Sie erzählt, dass sie erst mal keine Liebe empfinden konnte, weil sie "Jahre brauchten, um wieder zu Menschen zu werden" ...

Julia Anna Grob: Ich finde, diese Aussage beschreibt das gewaltige Trauma, das NS-Opfer wie Margot Friedländer erlebten, ziemlich gut. Sie hatte alles verloren, sogar über mehr als ein Jahr ihre Identität, weil sie sich als jemand anderes ausgeben und verstecken musste. Natürlich braucht es danach lange Zeit, bis sich so etwas wieder normalisiert. Wenn es das überhaupt je tut.

"Man kann solche Gefühle gar nicht spielen"

prisma: Ein Teil von ihr, sagt Margot Friedländer, war sogar froh, als man sie in Berlin verhaftet hat. Weil sie dann nicht mehr so alleine war und es ein "wir" gab, erzählt sie. Konnten Sie dies nachvollziehen?

Julia Anna Grob: Ja, sie hat ja gleich bei der Passkontrolle, bei der ihre Tarnung aufflog, von sich aus erzählt, dass sie jüdisch sei. Das hat mich auch erst mal verwirrt. Aber es hatte sicher damit zu tun, dass sich vorher bei ihr ein enormer Druck aufgebaut hatte. Die Bombennächte in den Stadtwohnungen, während andere im Bunker saßen, die Identitätswechsel und das Verstecken bei immer neuen Fremden – in diesem Moment wollte sie einfach ausbrechen und sich auch die Macht über ihre eigene Geschichte zurückholen. Das tut sie in dem Moment, wenn sie sagt: "Ich bin jüdisch". Es zeugt auch von einer großen Haltung.

prisma: Wie viel Zeit haben Sie mit Margot Friedländer persönlich verbracht?

Julia Anna Grob: Ich durfte sie an zwei Nachmittagen im Februar treffen. Bei ihr in Berlin.

prisma: Gab Sie Ihnen etwas mit auf den Weg für den Film?

Julia Anna Grob: Sie sagte, dass es nicht leicht sei, sie zu spielen. Dieser Satz ist mir im Gedächtnis geblieben.

prisma: Und Sie haben auch gefragt, warum?

Julia Anna Grob: Ja, das habe ich und bekam die Antwort: "Weil ich das nicht erlebt hätte". Und, dass es um Dinge ginge, die kann man nur nachvollziehen kann, wenn man sie erlebt hat. Was ich ihr absolut abnehme. Man kann solche Gefühle gar nicht spielen.

"Das liegt daran, dass sich die Gesellschaft spaltet"

prisma: Wissen Sie, warum Sie für die Rolle ausgesucht wurden?

Julia Anna Grob: Raymond Ley, der Regisseur, sagte zu mir, dass sie bei mir "gut aufgehoben" sei. Mehr weiß ich nicht, aber das ist in Ordnung so. Es war ein Vertrauensbeweis, der mich sehr gefreut hat.

prisma: Margot Friedländer und Sie sehen sich nicht besonders ähnlich, oder?

Julia Anna Grob: Wir sind beide von der Größe und der Figur her eher zart. Und ich glaube, es hatte auch etwas mit der Haltung im Casting zu tun. Ich habe das eher zurückhaltend angelegt. Ich spiele ja auch jemanden, der nie auffallen durfte und immer unsichtbar sein musste, um zu überleben. Wer sich komplett ausgeliefert fühlt, spielt nicht groß auf. Das wäre auf jeden Fall falsch gewesen.

prisma: Margot Friedländer gehört zu den letzten Zeitzeugen des Holocausts. Sie selbst sind Mitte 20. Wie präsent ist das Thema in Ihrer Generation?

Julia Anna Grob: Ich glaube, momentan wird es auch in meiner Generation wieder etwas präsenter. Das liegt daran, dass Filme darüber gemacht werden, aber auch daran, dass sich die Gesellschaft spaltet.

prisma: Sie meinen, weil sich wieder Hass gegen Menschen mit Migrationsgeschichte oder Geflüchtete breit macht?

Julia Anna Grob: Es ist auf jeden Fall wieder wichtiger geworden, sich dem zu stellen. Der Holocaust ist ein sehr unangenehmes Thema – und ja, es ist von meiner Generation sehr weit weg. Ich kann mir auch gar nicht vorstellen, dass Menschen so etwas tun können. Und trotzdem ist es passiert. Es ist ungeheuer wichtig, dass wir uns alle mit diesen Fragen beschäftigen.

"Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Schweizer"

prisma: Stimmt es, dass Sie eigentlich Schweizerin sind?

Julia Anna Grob: Ich bin Deutsche und Schweizerin, aber in Basel geboren und aufgewachsen. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater Schweizer.

prisma: Aber heute leben Sie in München?

Julia Anna Grob: Ja, hier habe ich vier Jahr Schauspiel studiert und mich danach entschieden, als freiberufliche Schauspielerin zu leben.

prisma: Die meisten, die frisch von der Schauspielschule kommen, suchen erst mal ein festes Engagement am Theater ...

Julia Anna Grob: Ich möchte es anders probieren. Vor allem, weil ich gerne vor der Kamera arbeiten will. Praktischerweise kam kurz nach meiner Entscheidung das Angebot, Margot Friedländer zu spielen. Der Film ist natürlich ein toller Start in diese neue Lebensphase gewesen. Für mich war es die Bestätigung für den Plan, erst mal nicht ans Theater zu gehen – auch wenn ich das später gerne noch machen würde.

"Man lebt mit der Unberechenbarkeit des Lebens"

prisma: Erfordert es viel Mut, als freie junge Schauspielerin arbeiten zu wollen?

Julia Anna Grob: Ja, durchaus. Es gab einige Leute, die mir davon abrieten. Man lebt mit einer gewissen Ungewissheit und der Unberechenbarkeit des Lebens. Ob man Anfragen bekommt oder nicht, wer weiß das schon? Es war mein Bauchgefühl, das mir sagte: Es fühlt sich gerade richtig an. Ich bin froh, dass ich diese Entscheidung so getroffen habe, sonst hätte ich das Friedländer-Projekt so wohl nicht machen können.

prisma: Haben Sie schon Nachfolge-Projekte, in denen man Sie sehen wird?

Julia Anna Grob: Ich drehe jetzt im November erst mal einen Kurzfilm und dann im Februar gibt es etwas Größeres, über das ich jetzt aber noch nicht reden darf. Es geht also weiter (lacht).


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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