Serie auf ARTE

"Cry Wolf": Wenn ein Verdacht eine Familie sprengt

19.01.2023, 08.31 Uhr
von Rupert Sommer

Serien-Highlight aus Dänemark: Nach einem Schulaufsatz, in dem sie Missbrauch und Gewalt schildert, wird die 14-jährige Holly gemeinsam mit ihrem Bruder bei Pflegeeltern untergebracht. Aber ist die Sache wirklich so klar?

ARTE
Cry Wolf
Serie • 19.01.2023 • 21:50 Uhr

Üblicherweise heißt es ja: "Kindermund tut Wahrheit kund". Doch wer sich in den Sog der neuen dänischen Drama-Serie "Cry Wolf", die ARTE in Erstausstrahlung zeigt, ziehen lässt, kommt schnell ins Zweifeln. Es ist ein spannendes, aber auch irritierend vielschichtiges Spiel mit den Perspektiven, bei dem man sich auf keine Gewissheit verlassen kann. Im Kern geht es um die Erosionswirkung von Vorwürfen und Verdächtigungen sowie um die Frage, wem man auch im nahen Familienbereich überhaupt noch trauen kann.

Man spürt schnell die Handschrift einer Meistererzählerin: Die Falltüren und Stolperstricke im Drehbuch hat die Autorin Maja Jul Larsen installiert. Sie schrieb schon im Drehbuchteam am dänischen Serien-Welterfolg "Borgen" mit. Während es in den "Gefährlichen Seilschaften", wie die Serie "Borgen" im Untertitel unter anderem bei Netflix heißt, um Politintrigen im Zentrum der dänischen Regierung geht, spielt "Cry Wolf" in familiären, privaten Umfeld. Doch auch das ist ein Ort, in dem nichts heimelig ist und wo man rasch überraschend vor Abgründen steht.

Auslöser für die Handlung ist ein Schulaufsatz der gerade mal 14-jährigen Holly (Flora Ofelia Hofmann Lindahl). Sie schildert in teils drastischen, dann aber auch wieder dunkel poetischen Worten Dinge, die ein Mädchen wie sie eigentlich noch nicht erlebt haben sollte. Es geht um Gewalt, Hass, Brutalität und offenbar täglichen Missbrauch. Alles scheint in eine Richtung zu deuten – auf Hollys Stiefvater Simon (Peter Plaugborg). Ein Monster!

Wer lügt und warum?

Zupackend reagiert der warmherzig wirkende Sozialarbeiter Lars (Bjarne Henriksen, bekannt geworden unter anderem in der Außenminister-Rolle in "Borgen" und in der ebenfalls dänischen Erfolgsserie "Kommissarin Lund"). Er wird auf Hollys Horror-Schilderungen aufmerksam gemacht. Und er trifft eine Entscheidung, die er für die vermeintlich einzig richtige hält: Lars nimmt die Teenagerin aus ihrer Familie heraus und bringt sie zusammen mit ihrem siebenjährigen Bruder Theo bei Pflegeeltern unter. Vorübergehend. Es muss viel geklärt werden – auch juristisch.

Doch rasch wird es kompliziert: Theos Erzählungen decken sich so gar nicht mit dem, was Holly zu Papier gebracht hat. Ihre Mutter Dea (Christine Albeck Børge) und der beschuldigte Schwiegervater Simon streiten alle Vorwürfe gegen die Familie vehement ab. Sie bemühen auch alle Rechtsmittel, um wieder an ihre Kinder zu gelangen. Wer lügt? Und warum nur?

Es ist die Stärke der von der dänischen Regisseurin Pernille Fischer Christensen ("Eine Familie") souverän in Szene gesetzten Serie, dass sie sich allzu einfachen Schuldzuweisungen versperrt. Es geht um große Themen und auch um Kritik an den Grundpfeilern einer aufgeklärten Gesellschaft – etwa um die bange Frage, ob man sich auf Institutionen wie die Jugendfürsorge und die Justiz in dem Punkt verlassen kann, dass sie auch tatsächlich das Kindeswohl im Blick behalten.

ARTE zeigt die ersten vier Folgen von "Cry Wolf" am Stück. Auf die erste Episode folgt gleich um 22.50 Uhr Nachschub. Die Folgen fünf bis acht strahlt der Sender eine Woche später am Donnerstag, 26. Januar, ab 21.40 Uhr, aus.

Cry Wolf – Do. 19.01. – ARTE: 21.50 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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