"Es ist eine Sensation"

"History's Greatest Mysteries": Doku wirft neues Licht auf Titanic-Katastrophe

von Christopher Schmitt

Vom Untergang der Titanic bis zur Ermordung von Abraham Lincoln: Bei vielen geschichtlichen Ereignissen vermischt sich Realität mit Legende. Diesen Fällen widmet sich Laurence Fishburne als Host einer spektakulären Dokureihe, die jetzt bei The History Channel zu sehen ist.

Als der Stolz Großbritanniens am 10. April 1912 in Southampton ablegte, ahnte niemand etwas von der drohenden Tragödie. Nachdem die Jungfernfahrt der Titanic vier Tage später in den eisigen Fluten des Nordatlantiks geendet war, war noch nicht abzusehen, dass ihr tragischer Untergang, der über 1.500 Passagieren das Leben kostete, dereinst zum sagenumwobenen Mythos wurde. Wer war wirklich schuld an der Katastrophe? Hätten mehr Menschen gerettet werden können? Eine Thematik wie geschaffen für die erste Folge der Dokureihe "History's Greatest Mysteries", die von Hollywoodstar Laurence Fishburne präsentiert wird. Ab 4. April widmet sich die deutsche Erstausstrahlung auf The History Channel (immer sonntags, ab 21.45 Uhr) historischen Ereignissen – und den Mysterien, die sich um sie ranken.

Laut Historiker Dr. Sascha Priester, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von The History Channel, dürfe man Mythen keineswegs mit Märchenstunden verwechseln: "Mythen sind Erzählungen, die als Medium dienen: Sie bieten Raum für Identität, liefern übergreifende Erklärungen oder geben Orientierung", weiß er zu berichten. Dabei gelte es zu differenzieren: "Unter wirklichen Ereignissen" verstehe er "historische Wegmarken – also für viele Menschen wichtige Geschehnisse, die den Zeitpfeil strukturieren", so der Historiker. Die Legende vom Untergang der Titanic ist da gewissermaßen die Schnittmenge: "Eine Verkörperung des menschlichen Drangs, etwas technisch Perfektes, Unsinkbares, Unzerstörbares, ja Ewiges zu schaffen", wie es Dr. Priester ausdrückt – und zugleich ein Zeugnis dessen Scheiterns.

Als Host konnte die sehenswerte Dokumentations-Reihe einen echten Hollywoodstar gewinnen: Laurence Fishburne führt durch die rund eineinhalbstündigen Episoden, die sich unter anderem mit der Ermordung des ehemaligen US-Präsidenten Abraham Lincoln oder dem Abstürzen eines unbekannten Flugobjekts bei Roswell in New Mexico beschäftigen. Dabei führt die charakteristische Stimme Fishburnes – in der deutschen Synchro wie gewohnt von Tom Vogt gesprochen – nicht nur durch den Mix aus alten Schwarz-Weiß-Aufnahmen und aktuellen Interviews. Zu Beginn stellt sich der Schauspieler selbst vor, am Ende verabschiedet er sie höchstpersönlich – und erinnert in seiner Wortwahl dabei etwas an Jonathan Frakes' legendär-unseriöse Mystery-Show "X-Factor: Das Unfassbare".

"History's Greatest Mysteries" spielt ansonsten zwar mit den Mythen und Legenden rund um wahre Ereignisse und versucht durch dramatische Musik Spannung aufzubauen, das Format ist jedoch eine grundsolide und informative Doku-Reihe. So werden alle Gerüchte, die rund um die Titanic-Tragödie kursieren, nüchtern auf Wahrheitsgehalt abgeklopft. Ein bisschen Aufbauschen gehört aber wohl dazu: "Historiker versuchen seit jeher, die privaten Aufzeichnungen von Lord Mersey einzusehen", erklärt Laurence Fishburne zu Beginn die Bedeutung der Tagebücher des Mannes, der mit der Untersuchung des Unglücks beauftragt war. "Diese wichtigen Dokumente werden nun zum ersten Mal seit 1912 wieder zugänglich gemacht."

Frauen und Kinder zuerst? Von wegen!

Auch wenn die Dokumente erwartungsgemäß keine krassen Enthüllungen enthalten, liefern sie doch interessante neue Ansatzpunkte. Warum wurde nach insgesamt 21 Eiswarnungen anderer Schiffe beispielsweise nicht langsamer gefahren? Die Vermutung liegt nahe, dass der anwesende Chef der Reederei White Star Line, J. Bruce Ismay, Druck machte, pünktlich anzukommen. Wasserdichte Schotten, die verhinderten, dass das eindringende Wasser weitere Bereiche des Schiffs überflutete, wurden möglicherweise manuell wieder geöffnet, um Schläuche und Pumpen von A nach B zu transportieren. Angeblich wurden sie anschließend offen gelassen.

Bei der Evakuierung lief ebenfalls so einiges schief. Unter anderem befanden sich in einem Rettungsboot, das für 68 Insassen konzipiert war, 61 Männer. Mit "Frauen und Kinder zuerst" war es in diesem Fall nicht allzu weit her. Dass die Crew im Umgang mit den Rettungsbooten ohnehin nicht geübt war, ist seit langem bekannt. Aber dass Captain Edward Smith eine Übung absagte, mutet angesichts der späteren Katastrophe doch bitter an. Auch, dass ein Großteil der anwesenden Crew mit dem Schwesternschiff Olympic bereits einen Seeunfall erlebt hatte, dürfte auch denjenigen Zuschauern neu sein, die mit der Titanic mehr als "Es war noch Platz für Leo" verbinden.

Natürlich reize es ihn als Historiker, mehr über den Untergang der RMS Titanic zu erfahren, erklärt Sascha Priester: "Wir sollten nicht vergessen: Wir sprechen über eine Katastrophe, die in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1912 über 1.500 Passagiere das Leben kostete. Und auch über 100 Jahre später wollen wir wissen: Wie konnte es wirklich zu dieser Katastrophe kommen?"

Das Verdienst der Dokumentation "History's Greatest Mysteries" sei es, "den Blick auf wirklich Neues zu richten und auf die Person des damaligen Chefermittlers Lord Mersey". Priester befindet: "Es ist eine Sensation, dass nun seine privaten Aufzeichnungen öffentlich gemacht werden, die er zeitgleich zu den Anhörungen und Ermittlungen angefertigt hatte." Jene Notizbücher böten "eine neue Perspektive auf die dramatischen Minuten und Stunden, die zwischen der Kollision mit dem Eisberg nach heutigem Wissensstand gegen 23.40 Uhr und dem Untergang des Schiffes gegen 02.20 Uhr morgens lagen".

Faszinierend ist so eine pseudokriminalistische Aufarbeitung eines allseits bekannten Ereignisses der Weltgeschichte allemal. Der Historiker Sascha Priester erklärt die Psychologie dahinter: "Literatur, bildende Kunst, Hollywood oder Dokumentationen halten ein historisches Ereignis nicht nur fest, sondern erzählen es vor allem auch weiter. Beim Fallbeispiel 'Titanic' hält dieser Prozess und dessen Verankerung in unseren Köpfen so auch die 'Titanic' selbst auf bemerkenswerte Weise am Leben. Mit einer Fülle von Interpretationsmöglichkeiten, die das Schiff und ihr Untergang als Projektionsfläche bieten."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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