Im Exil in Rio genießt Tommaso Buscetta (Pierfrancesco Favino) nur eine kurze Verschnaufpause. Die Behörden sind ihm auf den Fersen.
"Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra" handelt vom "Maxi-Prozess" der 80er-Jahre. Pierfrancesco Favino spielt den Kronzeugen Tommaso "Don Masino" Buscetta.

Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra

KINOSTART: 13.08.2020 • Drama • I/F/BR/D (2019) • 152 MINUTEN
Lesermeinung
prisma-Redaktion
Originaltitel
Il Traditore
Produktionsdatum
2019
Produktionsland
I/F/BR/D
Laufzeit
152 Minuten

Filmkritik

Das Mafia-Meisterwerk, das ein Geheimtipp bleiben wird
Von Jens Szameit

Gemetzel und Moral-Diskurs: "Il Traditore" über den Maxi-Prozess der 80er-Jahre ist der wichtigste Mafiafilm seit Langem, der kein nennenswertes Publikum finden wird.

"Ich bin ein einfacher Soldat ... mit einem gewissen Sinn für Anstand", gibt der Kronzeuge vor Gericht zu Protokoll. Es ist ein interessanter Satz aus dem Mund eines Mannes, der sein Leben in der Cosa Nostra, dem sizilianischen Arm der Mafia, verbracht hat. Der gemordet hat und am Heroinhandel reich geworden ist. Doch um die Begriffe Anstand, Ehre und Moral in all ihren Lesarten und Deutungsmöglichkeiten geht es in der Tat erschöpfend in Marco Bellocchios epischem Verbrecherrequiem. "Il Traditore – Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra" ist wahrscheinlich der wichtigste Mafiafilm seit Langem, der aber kein nennenswertes Publikum finden wird. Zumindest außerhalb Italiens.

Im Land südlich der Alpen liegt die Sachlage anders. Hier gehörte "Il Traditore" (zu Deutsch: der Verräter) 2019 zu den umsatzstärksten Filmen des Jahres. Was daran liegen mag, dass der Film ein nationales Trauma kontrovers verhandelt. Der sogenannte "Maxi-Prozess" der 80er-Jahre gegen führende Köpfe der Cosa Nostra war eine Zäsur für das Land und ein Medienspektakel erster Güte. Nie zuvor hatte es ein Mitglied der "ehrenwerten Organisation" gewagt, die "Omertà", die Schweigepflicht gegenüber Außenstehenden, zu brechen. Tommaso "Don Masino" Buscetta wurde erst zum Kronzeugen, zum "Pentito", und schließlich zum "Mythos", wie er in Gestalt seines fabelhaften Darstellers Pierfrancesco Favino selbst erkennt.

Er sei ein Judas Iskariot, klagt die bibelfeste Schwester tränenfeucht den TV-Kameras, doch das sieht der vermeintliche Verräter gänzlich anders – und mit ihm dieses ambivalent schillernde Whistleblower-Biopic. Bei allem geschichtlich verbrieften Gemetzel, das der Film nicht ausspart, geht es hier um eine Frage von philosophischem Format – was ist bindend: Loyalität zu einer Organisation oder Loyalität zu einer Haltung?

Mit solcher Diskurslast im Gepäck setzt das triefend melancholische 150-Minuten-Werk, das 2019 beim Festival in Cannes im Wettbewerb lief, bei einem Wendepunkt der sizilianischen Mafia ein. Ende der 70er-Jahre spült der weltweite Heroinhandel Milliarden an den globalen Umschlagplatz Palermo, doch einer der "Capos" opfert den Frieden der Familienoberhäupter der persönlichen Gier. Salvatore Riina, genannt "La Belva", "das Biest", will nicht nur die Konkurrenten auslöschen, sondern auch deren Frauen und Kinder, es ist ein Vernichtungsfeldzug, dem 1.000 Menschenleben zum Opfer fallen.

Auch zwei Söhne Tommaso Buscettas werden ermordet. Er selbst hatte sich mit seiner hinreißenden Gattin Cristina (Maria Fernanda Candido) rechtzeitig nach Brasilien abgesetzt ("Das letzte Hemd hat keine Taschen!"), wird dort aber von den örtlichen Behörden gestellt und nach langer Folter an die Heimat ausgeliefert.

Der Maxi-Prozess – eine gottlose Komödie

Was folgt, ist ein denkwürdiges Stück italieischer Justizgeschichte. Buscetta trifft auf den charismatischen Staatsanwalt und Mafiajäger Giovanni Falcone (Fausto Russo Alesi), der ihn überzeugt, in den Zeugenstand zu treten. Was das bedeutet, ist beiden sonnenklar. Immerhin einem der beiden Männer war ein natürlicher Tod im fortgeschrittenen Alter vergönnt: Buscetta erlag im Jahr 2000 im Zeugenschutz in Florida einem Krebsleiden; Falcone hingegen starb 1992 bei einem Sprengstoffattentat auf Sizilien.

Wie teures Olivenöl trieft das Heimweh aus den Bildern, die Autor und Regisseur Bellocchio im US-Exil spielen lässt. Doch im Zentrum seines Films stehen die tumultartigen Maxi-Prozesse, bei denen 344 Angeklagte, im Verhandlungssaal in Käfige gepfercht, zu insgesamt 2.665 Jahren Haft verurteilt werden. Es ist ein unwirkliches Schauspiel, eine gottlose Komödie. Wie die Farce mit dem gebotenen historischen Ernst in der Balance gehalten wird, offenbart die große Meisterschaft von Inszenierung und Dialogkunst.

Spätestens seit Abschluss der "Pate"-Trilogie ringen die Filmemacher darum, nicht in die Mafia-Verklärungsfalle zu laufen. Die Sky-Serie "Gomorrha" versucht es seit einigen Jahren mit niederschmetterndem Plattenbaurealismus, hat aber dennoch Legionen an "Tifosi" aus den falschen Gründen. "Il Traditore" hingegen sucht die Flucht im Diskurs. Es ist ein mühsamer Weg, dem das Blockbuster-Publikum nicht folgen wird. Aber es ist der Weg der Wahrheit, daran kann kein Zweifel bestehen.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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